Nächster Champions-League-K.o. für Juve: Was nun, CR7?
Von Guido Müller
Nach dem überraschenden Champions-League-Ausscheiden von Juventus Turin gegen den FC Porto ging die nicht gerade zimperliche italienische Sportpresse vor allem mit einem Spieler der Alten Dame hart ins Gericht: Cristiano Ronaldo.
Denn die Enttäuschung im Piemont über ein abermaliges Aus gegen einen vermeintlich schwächeren Gegner (im letzten Jahr scheiterten die bianconeri an Olympique Lyon, ein Jahr davor wurde man von Ajax rausgeworfen) ist groß. Und bei einer Analyse der Ursachen für das erneute Scheitern in der Königsklasse fällt der Blick natürlich schnell auf den Rekordmann.
117 Millionen Euro Ablöse, mehr als je zuvor ein Klub aus der Serie A in die Hand genommen hat, zahlten die Turiner im Sommer 2018 für den Star von Real Madrid. Und erträumten sich, vom Portugiesen wieder an die Spitze Europas geführt zu werden.
Immerhin hatte sich auf dem letzten Henkelpott, den der Klub in seine Trophäenvitrine stellen konnte (1996), schon eine ziemlich dicke Staubschicht angesammelt.
Juventus: top in Italien, nur noch Mitläufer in Europa
Juventus erleidet quasi seit einigen Jahrzehnten dasselbe Schicksal wie so viele Vereine aus international untergeordneten Ligen - im heimischen Liga-Betrieb mehr oder weniger unangetastet an der Spitze, doch im internationalen Vergleich zu schwach auf der Brust.
Doch während Klubs wie RB Salzburg, Celtic Glasgow oder Rosenborg Trondheim in der Vergangenheit recht gut damit leben konnten, wehrt sich der italienische Rekordmeister verzweifelt dagegen, eine solche Herabstufung zu akzeptieren. Und sei es, indem man einen dreistelligen Millionenbetrag für einen im Herbst angekommenen Superstar nach Madrid überweist.
Für Tore haben sie ihn geholt. Und für Tore bezahlen sie ihn, wie keinen anderen im italienischen Fußball. Für Tore, wie er sie für das königlich-weiße Ballett vom Bernabéu-Theater geschossen hat. Und Tore hat CR7 geliefert.
Für die Champions League reicht es nicht mehr
92 in 121 Pflichtspielen für die Alte Dame. Nur halt nicht in den entscheidenden Spielen in der Champions League. Und wenn doch, reichte es nicht zum Weiterkommen. Wie im vergangenen Jahr gegen Olympique Lyon. Oder im Jahr zuvor gegen Ajax Amsterdam.
Da sind Cristiano Ronaldos starke 72 Liga-Treffer in seinen bald drei Jahren in Turin natürlich nur ein schwacher Trost. Die hätte man zur Not auch auf die Schultern von Dybala, Morata oder Kulusevski verteilen können.
Addiert man zu den 72 Serie-A-Treffern die in den heimischen Pokalwettbewerben erzielten, kommen wir auf 78. Diese wiederum abgezogen von den 92 insgesamt geschossenen, ergeben eine Netto-Champions-League-Ausbeute von 14 Treffern in drei Jahren.
Zum Vergleich: Erling Braut Haaland steht nach nur zwei Spielzeiten in der Champions League bereits bei 20 Toren. Und kann in dieser laufenden Spielzeit ja noch nachlegen. Was hingegen seinem 36-jährigen portugiesischen Berufskollegen seit Dienstagabend nicht mehr vergönnt ist.
Auch weil zu der fehlenden Treffsicherheit ein taktisches Fehlverhalten beim Freistoßstor des FC Porto (zum 2:2 in der Verlängerung) hinzukam. Eine Mauer, die diese Bezeichnung nicht verdient, gebildet aus Adrien Rabiot, Álvaro Morata und Cristiano Ronaldo, drehte sich beim Schuss von Portos Oliveira kollektiv ängstlich weg, Cristiano Ronaldo öffnete sogar seine Beine - und genau durch diese Lücke zischte der Ball ins Tor der Turiner.
Kritik von Capello - und die Presse fragt schon nach Cristiano Ronaldos Zukunft
Für den gestrigen Sky Sport Italia-Experten Fabio Capello "ein unverzeihlicher Fehler". Und der frühere Milan- und Real-Coach legte noch nach: "Zu meiner Zeit hat man sich die Spieler ausgesucht, die in die Mauer gegangen sind, und das konnten keine Leute sein, die Angst vor dem Ball hatten." (via sport1.de)
Noch viel härter gehen, der jahrzehntelangen Tradition folgend, die Sportzeitungen des Landes hinter den Alpen mit dem Mann aus Funchal ins Gericht. Die Gazzetta dello Sport beinahe schon wortwörtlich. Denn das rosafarbene Traditionsblatt stellt den Portugiesen für seinen Blackout in der Juventus-Mauer gleich mal "unter Anklage" und stellte dann noch die Frage nach der weiteren Zukunft: "Und was jetzt?"
Es ist vorhersehbar: an CR7 werden sich in den kommenden Wochen zahlreiche Diskussionen über die sportliche Planung der Turiner für die kommenden Jahre entzünden. Die früheren Nationalspieler Christian "Bobo" Vieri und Antonio Cassano sorgten schon mal für den Anfang.
In seinem TV-Format Bobo TV deutete Vieri nach dem 3:1-Ligaerfolg der Alten Dame gegen Lazio am vergangenen Wochenende an, dass der Stil Ronaldos vielleicht nicht zur Philosophie von Trainer Pirlo passen könne.
Cassano wäre "nicht überrascht" über einen vorzeitigen Abgang des Portugiesen
Sein Gast Cassano wiederum sprach gar davon, dass es ihn "überhaupt nicht wundern" würde, wenn Cristiano Ronaldo am Ende der Saison den Klub verlassen würde.
Ganz so weit sind wir zwar noch nicht - aber dass der Portugiese seinen eigentlich bis 2022 laufenden Vertrag in der Metropole am Po auch tatsächlich erfüllen wird, ist seit dem erneuten Champions-League-Aus zumindest nicht wahrscheinlicher geworden.
Zumal bei der Alten Dame ja noch der MVP der letzten Serie-A-Saison spielt: Paulo Dybala. Der Vertrag des in dieser Spielzeit durch vielerlei Verletzungen zurückgeworfenen Argentiniers läuft ebenfalls im kommenden Jahr aus. Mit 27 ist Dybala jedoch immer noch in einem Alter, in dem sogar ein weiterer Entwicklungsschritt von ihm erwartet werden kann.
Das Magazin The Athletic spekuliert in diesem Zusammenhang bereits, dass sich die Turiner Klubführung im kommenden Sommer für einen von beiden wird entscheiden müssen. Schlagende Argumente dafür, dass die Wahl dabei unbedingt auf ihn fallen muss, hat der Portugiese am Dienstag nicht geliefert.