Kaum noch etwas übrig von 'Glory, Glory Man United'
- Warum die Red Devils nach Ferguson nicht an alte Erfolge anknüpfen können
- Was der Klub in den letzten Jahren immer mehr verloren hat
- Wie es wieder bergauf gehen könnte
Von Oliver Helbig

Manchester United galt einst als Maß aller Dinge im Weltfußball, doch vom Glanz alter Tage ist kaum noch etwas übrig. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen und so kommt es nicht selten vor, dass United medial durch den Kakao gezogen wird. Kein Wunder. Die Leistungen und Premier-League-Platzierungen der letzten Jahre sind von großen Schwankungen gezeichnet, ebenso wie die Besetzungen des Trainer-Postens. Große Erfolge nahezu Fehlanzeige. Teilweise hagelte es international krachende Niederlagen gegen Teams, denen man früher noch mindestens auf Augenhöhe begegnete. Doch woran liegt der Niedergang und was fehlt den Red Devils im Vergleich zu glorreicheren Zeiten? Ein Kommentar.
Die große Ära von Man United unter der schottischen Trainer-Legende Sir Alex Ferguson begann Anfang der 1990er. Ferguson übernahm den Verein als Manager - wie man in England den Trainer bezeichnet - bereits zur Saison 1986/87 und auch hier waren die ersten Jahre eher durchwachsen. Von Mittelmaß bis an der Spitze schnuppern war alles dabei für den Trainer, der zuvor beim FC Aberdeen erfolgreich an der Linie stand.
Mit Einführung der Premier League zur Spielzeit 1992/93 fielen die Puzzleteile dann aber zusammen. United holte den ersten Meistertitel nach einer 26-jährigen Durststrecke und von da an begann die goldene Zeit für den Verein aus dem Nordwesten Englands. Bis zum Ende seiner Trainer-Karriere bei den Red Devils im Sommer 2013 holte 'Fergie', wie Ferguson nach wie vor liebevoll von den United-Anhängern genannt wird, mit United unter anderem 13 Meistertitel, zweimal die Champions League, zehnmal den englischen Supercup, fünfmal den FA-Cup sowie viermal den englischen Ligapokal, je einmal den UEFA-Supercup und den Europapokal der Pokalsieger, die er beide zuvor schon in den 80ern auch mit Aberdeen gewann. Außerdem gewann Sir Alex einmal den Weltpokal, wurde in elf Spielzeiten zum Trainer des Jahres der Premier League und zweimal zum Welttrainer des Jahres (1998 & 2007) gewählt.
Mit der Class of 92 begann die Erfolgs-Ära
Doch was genau machte United über einen so langen Zeitraum so außerordentlich erfolgreich? Zum einen sicherlich, dass man nach holprigem Start an Ferguson geglaubt und festgehalten hat. Dieser konnte sich eine Mannschaft aufbauen, die seiner Idee vom Fußball folgte und diese mittrug. Zum anderen war es dann eben diese clevere Kaderplanung des schottischen Managers. Schon damals fand man vereinzelt große Namen im Kader. Spieler wie Eric Cantona, Paul Ince, Mark Hughes oder der dänische Nationaltorwart und Europameister Peter Schmeichel waren das Gesicht des Teams.
Zu Beginn der Spielzeit 92/93 begann Fergie zusätzlich vermehrt auf die Jugend zu setzen. Zum bereits in der Vorsaison in den Profikader beförderten Ryan Giggs gesellten sich nun noch Nicky Butt, Paul Scholes, David Beckham und Gary Neville, dessen Bruder Phil zwei Jahre später ebenfalls dazustieß. Es war die berühmte 'Class of 92'.
In den Folgejahren ergänzte und veränderte man den Kader Stück für Stück und verstärkte sich von Jahr zu Jahr punktuell mit Spielern wie Roy Keane, Andy Cole, Dwight Yorke, Ole-Gunnar Solskjaer, Teddy Sheringham und Jaap Stam. All diese späteren United-Legenden formten bis zum Champions-League-Triumph 1999 eine Mannschaft, die europaweit gefürchtet war und die Basis für viele weitere erfolgreiche Jahre bildete. Eine gesunde Mischung aus erfahrenen Spielern, großer Mentalität und Spielern mit Stallgeruch aus der United-Jugend die zusammen Titelhunger sowie die Liebe und Identität zum Club und seiner Geschichte vereinten.
Als Ferguson ging, gingen auch die Meistertitel
Ende der 1990er/Anfang der 2000er hatte United wohl den Höhepunkt seiner Vereinsgeschichte. Dem folgte auch kein Abbruch als 2003 der Superstar David Beckham nach Differenzen mit Alex Ferguson den Club Richtung Spanien zu Real Madrid verließ. Ferguson waren die zunehmenden Star-Allüren des Freistoß-Spezialisten immer mehr ein Dorn im Auge. Für den Schotten war klar: Niemand ist größer als der Club, auch nicht sein größter Name. Diese klare Linie im Zusammenspiel mit seiner stets menschlichen Komponente gegenüber seinen Spielern war wohl der Hauptgrund für den über so viele Jahre anhaltenden Erfolg Fergusons, ehe er sich mit einem letzten Meistertitel 2012/13 in den verdienten Fußball-Ruhestand verabschiedete.
Dies war bislang auch der letzte Premier-League-Titel für United. Nach der Ära Ferguson gab es neben zahlreichen Trainerwechseln verhältnismäßig wenig zu feiern. Je einmal wurde die Europa League sowie der FA-Cup gewonnen, gar zweimal der englische Supercup und zweimal der englische Ligapokal. Viel bitterer für United-Fans dürfte aber der Fakt sein, dass man vom Stadtrivalen Manchester City überholt wurde und aktuell in deren Schatten steht. City glänzt mit Modernität. Auf und neben dem Platz. Auch das ist ein Punkt der am Image Uniteds kratzt, denn das Old Trafford ist mitunter renovierungsbedürftig und kann mit den teilweise hochmodernen Arenen der Premier League nicht immer mithalten. Dies in Kombination mit ausbleibenden Erfolgen machte aus dem Old Trafford mittlerweile gefühlt eine graue Maus.
Jüngere Generationen können sich nicht mehr vorstellen, welch große Magie das Theatre of Dreams einst versprühte. In den Köpfen derjenigen, die diese große Zeit miterlebten, ist die Magie vom Old Trafford noch immer da. Für mich ist es immer noch eines der faszinierendsten Stadien der Welt.
Die Glazer-Übernahme
Auch die Übernahme durch den US-Milliardär Malcolm Glazer trug ihren Teil zum Ende der United-Dominanz bei. Im Jahr 2005 übernahm dieser, trotz Gegenwind von Fans und Vorstand, den Verein und führte ihn von da an an den Wertevorstellungen der Anhänger der Red Devils vorbei. Mit Fackeln und Spruchbändern versuchten Anhänger die Übernahme zu verhindern. Es kam sogar soweit, dass zahlreiche Fans dem Verein den Rücken kehrten und austraten. Die Glazer-Family, die wenig Bezug zu der großen Historie des Vereins hat und ihn mehr als Spielzeug zur Geldvermehrung sieht, raubten United in den Augen der Fans die Seele und trafen in großer Vielzahl Entscheidungen, die nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar waren.
Die Gründe für den, überspitzt gesagt, Niedergang Manchester Uniteds, sind somit also vielschichtig. Zum einen verloren die Fans ein Stück weit die Identifikation mit dem Verein und der Verein verlor mit der Übernahme des amerikanischen Investors ein Stück weit seine DNA. Nach der glorreichen Zeit mit so vielen Eigengewächsen gab es keinen größeren Block an eigens ausgebildeten Spielern mehr im Kader der Red Devils, die im Laufe ihrer Karriere dann auch eine tragende Rolle spielten. Spieler wie Marcus Rashford oder Scott McTominay stehen im großen Schatten ihrer hochdekorierten Vorgänger. Der absolute Glaube an die eigene Jugend scheint abhandengekommen. Viel zu oft wurden stattdessen überteuerte Preise für mittelklassige Spieler bezahlt, die den Verein in keiner Weise weitergebrachten.
Teilweise wurden diese Spieler sogar von der eigenen Anhängerschaft verhöhnt. Blickt man auf die letzten zehn Jahre, fallen einem keine Spieler ein, die über die eigene Jugend den Legenden-Status eines David Beckham, Ryan Giggs, Gary Neville oder Paul Scholes erreicht haben. Blickt man jedoch auf erfolgreiche Zeiten anderer Vereine, fällt auf, dass genau das ein wichtiger Faktor zu sein scheint. Ebenso wie United hatte zum Beispiel der FC Barcelona seine größte Zeit mit einem Block aus Spielern die der eigenen Akademie entsprangen. Iniesta, Puyol, Xavi, Busquets und Messi prägten diese Zeit. Ebenso war es auch beim FC Bayern mit Spielern wie Schweinsteiger, Lahm, Alaba und Müller, die die DNA des Vereins verinnerlichten und ihr Herz für Club und Fans auf dem Rasen ließen. Geprägt von Trainern wie Guardiola und van Gaal, die zu diesen Zeitpunkten großen Wert auf die eigene Jugend legten und den Mut besaßen diese auch einzubauen.
Die Probleme an der Seitenlinie nach der Fergie-Ära
Auch auf der Trainerbank fehlte es an Konstanz. Acht Trainer seit dem Ende der Ferguson-Zeit belegen dies leider eindrucksvoll. Kaum einer schaffte es, United in die Spur zu bringen. José Mourinho behauptete einst sogar, dass ein Erfolg mit Manchester United gleichzusetzen sei mit dem größten Erfolg seiner Karriere und dass viele das erst nach seinem Abgang verstehen würden. Durch die Blume gesagt, wies er also da schon auf die Komplikationen im Inneren des Vereins hin.
Seit 2022 steht nun der Niederländer und ehemalige Trainer der Bayern-Amateure und Ajax Amsterdams Erik ten Hag an der Linie im Old Trafford. Ähnlich wie in der Anfangszeit von Ferguson gibt es auch bei ihm Schwankungen in Leistung und Ergebnissen. Doch ebenso fällt auf, dass auch er ein starker Charakter ist, der es nicht zulässt, dass sich ein Spieler über den Verein stellt. Die Geschichte um Cristiano Ronaldo nach dessen Rückkehr und das unrühmliche Ende haben bewiesen, dass ten Hag sich gegen große Charaktere und große Namen behaupten kann. Das gegen die wohl letzte große United-Legende neben Nemanja Vidic, Wayne Rooney, Robin van Persie, Ruud van Nistelrooy und Rio Ferdinand beweisen zu müssen, brachte ihm zwar viel Respekt ein, legte allerdings auch zusätzlich enormen Druck auf seine Schultern. Dennoch erntete er dafür viel Lob, gerade auch von ehemaligen United-Legenden.
Bei ausbleibendem Erfolg dürfte aber auch die Luft für den Niederländer dünner werden. Die Gefahr, dass seine Ausführungen als lediglich heiße Luft abgestempelt werden, steigt mit jeder Niederlage. Fergusons Vorteil war im Vergleich, dass es zu seiner Anfangszeit noch keine breite und schnelllebige Angriffsplattformen über Social Media gab, die den öffentlichen Druck auf Vereine so erhöhten. Zumal der Klub lange Jahre wenig große Erfolge vorzuweisen hatte. Nicht jeder konnte seine Meinung ins Netz werfen und so blieben die Stammtisch-Trainer meist unerhört. Mittlerweile achten viele Vereine auch auf die Stimmung in der Öffentlichkeit und gerade diese wurde schon für viele zum Stolperstein. Auch bei Manchester United. Ralf Rangnick hat dies am eigenen Leib erfahren müssen. Auch Statements vermeintlicher Experten polarisieren in der Öffentlichkeit nun in einer viel größeren Schlagkraft als damals und machen es für ten Hag nicht einfacher.
Die Saison 2023/24 begann für Man United schon erneut holprig und bereitet allen, die es mit den Red Devils halten, schon wieder Kopfschmerzen. Der Verein droht den Anschluss an Teams wie Liverpool, City oder einem wieder erstarkten Arsenal zu verlieren und weiter abgehängt zu werden. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen man eine Macht im Weltfußball war. Doch um dorthin zurückzukehren benötigt es wohl keiner grundlegenden Neuerfindung, sondern viel mehr zurück zu sich selbst zu finden.
Zu einer Vereinsführung, die im Sinne des Vereins und dem Vermächtnis aller daran beteiligten Personen agiert. Zu einem Trainer, dem man genug Zeit gibt, eine Idee zu entwickeln, die zum Verein passt und somit auch zur eigenen Jugend. Dem man es erlaubt, an und mit seiner Mannschaft zu wachsen. Eine Jugend, die mittel- und langfristig notwendig sein wird, um die Werte des Vereins auch auf dem Rasen wieder erkennbar zu machen. Zu einer Transferpolitik, die darauf ausgerichtet ist, die Basis aus eigenen Talenten zu verstärken und zu ergänzen. Punktuell mit Qualitäten aufzufüllen, die dem Kader fehlen, so wie einst ein Roy Keane als Agressive-Leader, Torgaranten wie Andy Cole und Dwight Yorke oder ein Jaap Stam als Kern einer soliden Abwehr. Der Name Manchester United hat an Gewicht verloren. Viele, die die Red Devils nicht in ihrer Glanzzeit erlebten, verstehen nicht, welch großer Mythos mit diesem Verein schwang und welch überwältigende Ausstrahlung er hatte. Um dorthin zurück zu kehren, wird es Zeit und Geduld benötigen ebenso wie die genannten Umbrüche.
Es wird Zeit, dass diesem schlummernden Giganten neues Leben eingehaucht wird. Ein erster und von Fans vehement geforderter Schritt wäre ein Wechsel der Eigentümer. Danach sah es lange aus, denn Scheich Jassim bin Hamad Al Thani aus Katar bot sieben Milliarden Euro, um den von den Glazers auf den Markt gebrachten Klub zu erwerben. Er stach damit auch den englischen Milliardär Sir Jim Ratcliffe aus. Doch dann die Wende im Milliarden-Poker: Den Glazers war die angebotene Summe zu gering. Laut der Daily Mail schwebt den Amerikanern eine Summe von gut zwölf Milliarden Euro vor, um United zu verkaufen. Der Frust und die anschwellende Wut der Fans sind ihnen dabei vollkommen egal. Ihr Ziel: Den Verein 2026 nochmals auf dem Markt anzubieten in der Hoffnung, dass die WM in den USA zahlungswillige Investoren mit großen Geldkoffern für den Fußball begeistert.
Es sieht also eher danach aus, als würde die Leidenszeit für Anhänger der Red Devils weitergehen und United Spielball einer fußballfremden Familie aus Amerika bleiben, denen es ausschließlich um den eigenen Geldbeutel zu gehen scheint. Einzige Hoffnung: zumindest sportlich nicht noch tiefer zu sinken.
Die traurige Entwicklung eines Giganten der Fußball-Welt, deren Ende noch nicht in Sicht zu sein scheint, sie sollte als warnender Zeigefinger für die 50+1-Regel in Deutschland dienen, denn der Preis für Erfolg darf niemals die Identität eines Vereins sein.
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