Das muss sich im HSV-Kader noch tun

So bejubelten die HSV-Spieler den gelungenen Saison-Auftakt bei Schalke 04
So bejubelten die HSV-Spieler den gelungenen Saison-Auftakt bei Schalke 04 / Lars Baron/Getty Images
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Nach dem in weiten Teilen überzeugenden Auftaktsieg des Hamburger SV beim FC Schalke 04 (3:1) herrscht aktuell naturgemäß eitel Sonnenschein am Volkspark. Doch an der grundsätzlichen Personal-Planung der Hamburger sollte auch diese schöne Momentaufnahme nichts ändern.


"Mitte, Ende August werden ein paar Sachen aufs Tableau kommen, mit denen man heute noch gar nicht rechnet." Zwar sind diese Worte von Sportvorstand Jonas Boldt auch schon wieder ein paar Wochen alt (ziemlich genau drei, um genau zu sein), doch an Substanz haben sie seitdem nicht verloren.

Natürlich freut auch er sich über, unter anderem, eine herausragende Leistung seines Keepers Daniel Heuer Fernandes. Oder über den erfrischenden Auftritt von Ludovit Reis. Oder über Robert Glatzels Tor in dessen Pflichtspiel-Premiere für die Rothosen.

Doch gleichzeitig hat auch der Manager Dinge gesehen, die noch einer Verbesserung bedürfen. Überhaupt wäre die Haltung "Alles super, keine Veränderungen notwendig!" so ziemlich das Dümmste, was die Hamburger nach dem Auftaktsieg tun könnten.

Zudem wäre es genau die Art von "Reaktion", die dem Klub in der Vergangenheit - und keineswegs zu unrecht! - immer wieder vorgeworfen wurde: nämlich es sich zu schnell in der Selbstzufriedenheits-Blase gemütlich zu machen.

Natürlich muss noch ein Torwart verpflichtet werden!

Von daher kann ich über die Aussagen mancher Fans, dass die Suche nach einem neuen Torwart jetzt ja wohl zu den Akten gelegt werden könne, ehrlich gesagt nur müde lächeln. Ernsthaft, Leute? Was ist denn, wenn "Ferro" im nächsten Spiel einen Tick zu langsam aus dem Kasten kommt und per Roter Karte vom Platz fliegt?

Nochmal: Wir reden hier von Profi-Fußball. Dazu gehört auch, dass ein Jeder sich ständig von Neuem beweisen muss. Auch ein Daniel Heuer Fernandes. Und auch nach einer tollen Leistung wie gegen S04.

Dem am Freitag sicherlich überragenden HSV-Spieler auf dem Platz deswegen nun einen Freifahrtsschein auszustellen, wäre genau der Fehler, den dieselben Leute, die jetzt vom Klub fordern, transfertechnisch die Beine still zu halten, in den letzten Jahren stetig angemahnt haben.

Es ist ja auch nicht so, dass Heuer Fernandes davon überrascht sein könnte. Laut Aussagen von Tim Walter ist die aktuelle Nummer eins im Kasten der Hamburger in die Personalplanungen insofern eingebunden, als er weiß, dass der Klub auf dieser Position noch mal tätig werden wird.

Ob es nun ein Oliver Christensen, ein Örjan Nyland oder sonst wer wird. Und mal ganz nebenbei: in der Form vom Freitag braucht der Deutsch-Portugiese auch überhaupt keine Angst vor einem Duell um den Platz im Tor der Hanseaten zu haben, sondern kann in selbiges mit vollem Selbstvertrauen gehen.

Konkurrenz belebt nun mal das Geschäft. Auch im Innenverhältnis einer Fußball-Mannschaft. Denn wer würde nach einem (spekulativen) Ausfall Heuer Fernandes' an den kommenden Spieltagen (sei es durch Sperre oder Verletzung) sich am lautesten darüber beschweren, dass der Klub auf dieser neuralgischen Position fahrlässigerweise mit einem 19-jährigen Talent ohne jede Profi-Erfahrung (Oppermann) einen solchen Verlust kompensieren will?

Genau: Es wären dieselben, die jetzt, unter dem Eindruck des Auftaktspiels, dem Klub davon abraten, sich einen neuen Torwart zu holen. Das einfach mal zur bisweilen absurden Gedanken-Welt einiger Fans.

Doch auch auf anderen Position dürfte die aktuelle Personal-Lage sich in den kommenden Wochen noch verändern.

Amadou Onana: Reisende soll man nicht aufhalten

Heißester Kandidat auf einen Wechsel noch in diesem Sommer ist eindeutig Amadou Onana. Der Belgier selbst hat schon mehr als deutlich signalisiert, den Klub nach nur einem Jahr verlassen zu wollen.

Soll er doch. Wenn an den kolportierten sechs Millionen Euro, die der französische Sensations-Meister OSC Lille zu zahlen bereit sein soll (der HSV verlangt weiterhin mindestens deren acht!), wäre es fahrlässig, sich darüber keine Gedanken zu machen.

Beziehungsweise den Deal nicht schnellstmöglich (die Vereine dürften sich in der Goldenen Mitte, also bei sieben Millionen, einig werden) einzutüten.

Amadou Onana
An Amadou Onana ist der französische Meister OSC Lille interessiert / Martin Rose/Getty Images

Ganz ehrlich: mich hat Onana nie in dem Maße überzeugt, wie einige andere Beobachter. Dass seine ständigen Probleme bei der Ballannahme in der vergangenen Saison nicht viel öfter ins Gewicht gefallen sind, lag auch an seinen langen Beinen, mit denen er versprungene Bälle oftmals gerade noch wieder zurückerobern konnte.

Klar, der Mann bringt mit 1,95 Metern Körpergröße Gardemaß und physische Wucht mit. Und Kapitän der belgischen U21-Mannschaft wird man auch nicht per Los-Entscheid. Will sagen: der 19-Jährige hat selbstredend viel Potenzial, in Zukunft ein richtig guter Kicker zu werden.

Aber noch bewegen wir uns im spekulativen Raum. Mit Riesen-Talenten, die am Ende den Vorschusslorbeeren keine Taten folgen ließen, ist die Fußball-Historie bis an den Rand gespickt. Auch in Hamburg. Nicht wahr, Herr Arp?

Und was ein unzufriedener Spieler, der gedanklich eigentlich schon nicht mehr in Hamburg ist, für negative Auswirkungen auf den ganzen Kader haben kann, hat nicht zuletzt der HSV in den vergangenen Jahren mit unschöner Regelmäßigkeit erleiden müssen.

Reisende, so heißt es, soll man nicht aufhalten. Und wenn dem eine Vertragskonstellation wie im Fall Onana entgegensteht (noch bis 2024 an die Raute gebunden), gleichzeitig finanzielle Zwänge aber kaum Spielraum für alternative Handlungsmuster lassen, sollte man sich über sechs oder sieben oder mehr Millionen Euro an Transfereinnahmen einfach nur freuen - und sie nehmen, solange das Angebot auf dem Tisch liegt.

Entscheidend sportlich geschwächt sehe ich den HSV bei einem Onana-Abgang jedenfalls nicht. Seine drei Tore in der letzten Saison (bei keinem einzigen Assist!) müssen dann einfach auf andere Schultern verteilt werden.

Es fehlen: ein Spielgestalter und offensive Flügelspieler

Ein Torwart und ein Sechser werden also wohl noch kommen. Dazu fehlt den Hamburgern nach den Abgängen von Aaron Hunt und Xavier Amaechi noch eine klassische Zehn und (mindestens) ein Außenstürmer.

Dass Jeremy Dudziak die Rolle des Spiellenkers erfüllen könnte, steht außer Frage. Das Problem: zu vieles beim Deutsch-Tunesier bewegt sich in den letzten Jahren im Konjunktiv.

Der 25-Jährige geht in seine dritte Saison in Hamburg. Dies tut er - mal wieder - mit Verletzungssorgen und muss nun erstmal seine konditionellen Rückstände aufholen. Disziplinlosigkeiten am Ende der letzten Saison (unter Hrubesch) haben ihn zudem viele Sympathiepunkte im Klub gekostet. Ein Verkauf (sein Vertrag läuft bis 2022) ist auch hier nicht ausgeschlossen.

Jeremy Dudziak
Nicht mehr unumstritten in Hamburg: Jeremy Dudziak / Martin Rose/Getty Images

Um im grammatikalischen Bild zu bleiben: Xavier Amaechi wäre in diesem Sinne als Konjunktiv II zu bezeichnen.

Ich will gar nicht leugnen, dass die Macher auf der Entscheidungsebene beim ehemaligen Arsenal-Spieler irgendetwas gesehen haben, dass sie zu der Zahlung von immerhin 2,5 Millionen Euro bewegt hat.

Doch bislang konnte Amaechi die in ihn gesteckten Erwartungen nie auch nur ansatzweise erfüllen. Und seit seiner Ankunft sind nun auch schon zwei Jahre ins Land gegangen. Auch vor dieser jüngst gestarteten Saison schienen die Verantwortlichen nicht wirklich davon überzeugt zu sein, dass der 20-jährige Engländer im System von Tim Walter eine tragende Rolle spielen könnte.

Ergebnis: erneute Leihe. Nach seinem wenig nachhaltigen Aufenthalt in Karlsruhe kehrt der Flügelstürmer nun bis Sommer 2022 in seine englische Heimat (Bolton Wanderers) zurück.

A propos Flügelstürmer: auch der vormals als Super-Talent gepriesene Aaron Opoku (22) scheint den Sprung vom Nachwuchs ins Profi-Geschäft noch nicht bewältigt zu haben. Unter Tim Walter spielte der gebürtige Hamburger bislang jedenfalls noch gar keine Rolle.

Aaron Opoku
Was wird aus Aaron Opoku? / Cathrin Mueller/Getty Images

Ja, noch mehr als das: im Testspiel gegen Silkeborg IF (1:0) stellte der 45-jährige Coach Opoku auf der Rechtsverteidiger-Position auf. Nicht ohne parallel darüber zu klagen, über keine Flügelstürmer von Format zu verfügen.

Auch hier erscheint eine Leihe der (vorerst) beste Ausweg aus dem Dilemma. Streng genommen müsste der HSV also noch zweimal auf den offensiven Flügeln tätig werden. Denn ein Bakery Jatta liefert seit etwa eineinhalb Jahren nur sehr sporadisch gute Leistungen ab.

Auch im Auftaktspiel auf Schalke zeigte er seine zwei Gesichter: fast unsichtbar in Durchgang eins, drehte der Gambier in den zweiten 45 Minuten auf - und belohnte sich sogar mit dem Tor zum 3:1-Endstand.

Doch nur 50-prozentige Arbeitsnachweise auf akzeptablem Niveau sind für einen Klub wie den HSV schlichtweg auf Dauer zu wenig. Ein FC Bayern München mag den einen oder anderen Spieler "durchschleppen" können - ein HSV muss dies unter allen Umständen vermeiden.

Letztjährige Säulenspieler gehen ins letzte Vertragsjahr

Womit wir bei den restlichen Kandidaten für einen Abschied noch in diesem Sommer wären: Klaus Gjasula und Toni Leistner.

Ersterer ist in der Hierarchie der defensiven Mittelfeldspieler bis auf den letzten Platz zurückgefallen. Spätestens seit vergangenem Freitag, an dem ein im letzten Jahr zunächst für die Zweitvertretung verpflichteter Spieler namens Maximilian Rohr endlich mal zeigen konnte, warum der HSV immerhin 200.000 Euro an Carl Zeiss Jena gezahlt hat.

Klaus Gjasula, Serdar Dursun
Weggebrochene "Säule" Nr. 1: Klaus Gjasula (hier im Duell mit Serdar Dursun) / Martin Rose/Getty Images

Toni Leistner wiederum ist Opfer der veränderten Spielausrichtung unter Walter geworden. Oder klarer formuliert: im spielerisch anspruchsvollen System des Neu-Trainers ist Leistner mit seinen Schnelligkeits- und Ballverarbeitungs-Defiziten ganz nach hinten gerutscht.

Eingedenk der Tatsachen, dass der zum diesjährigen Kapitän bestimmte Neuzugang Sebastian Schonlau und Durchstarter Jonas David auf Schalke einen soliden Job gemacht haben, mit besagtem Rohr, Allrounder Heyer und (perspektivisch) Stephan Ambrosius zudem noch drei weitere Alternativen für die Innenverteidigung zur Verfügung stehen, dürfte sich der Ex-Unioner ebenfalls so seine Gedanken über die weitere Zukunft in Hamburg machen.

Toni Leistner
Weggebrochene "Säule" Nr.2: Toni Leistner / Martin Rose/Getty Images

Die Verträge sowohl von Gjasula als auch von Leistner laufen übrigens im nächsten Jahr aus. Da beide ablösefrei zum HSV gekommen ist, ist ein Verkauf der beiden zwar rein wirtschaftlich kein Muss, könnte aber aus mannschafts-hygienischen Gründen (immerhin haben sie ihren einstigen Status als Säulenspieler verloren) empfehlenswert erscheinen.