Hansa vs Dynamo: Als Juri Schlünz die Kogge zum Titel schlenzte!

Frank Bienewald/Getty Images
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In der letzten Saison der DDR-Oberliga, schon unter der neuen offiziellen Chiffre "NOFV-Liga", errang der als Außenseiter in die Spielzeit gestartete Hansa Rostock sensationell die fünfte Meisterschaft seiner Vereinsgeschichte. Unter Dach und Fach gebracht wurde der Titel damals am 23. Spieltag - durch einen 3:1 Sieg gegen den ärgsten Rivalen Dynamo Dresden.


Im August 1990 ging die DDR-Oberliga in ihre letzte Saison. Das Land DDR existierte damals nur noch auf dem Papier, und längst waren alle politischen und rechtlichen Schritte zu einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten eingeleitet, die schließlich am 3. Oktober desselben Jahres feierlich vollzogen wurde.

In deren Zuge wurde auch das ostdeutsche Liga-System in die westdeutschen Strukturen eingegliedert. Der DFV, der Deutsche Fußball Verband im Osten, ging im Deutschen Fußballbund des Westens auf.

Mit dem neuen Namen NFOV (Nordostdeutscher Fußballverband) startete die höchste Spielklasse des gescheiterten Staates am 11. August 1990 in ihre letzte Spielzeit.

Das Rennen um die Qualifikation für die gesamtdeutsche Bundesliga

Die Besonderheit: diese Saison 1990/91 galt für die 14 teilnehmenden Klubs als Qualifikations-Turnier, um sich für die West- (oder besser: gesamtdeutsche) Bundesliga - respektive die 2. Liga - zu qualifizieren.

Nur der Meister und der Vize-Meister würden in der Folgesaison auf Teams wie den FC Bayern München, Borussia Dortmund, HSV oder Werder Bremen treffen. Der Rest würde auf die Zweite Liga bzw. auf die neu geschaffene dritte Liga (Oberliga Nordost) verteilt werden. Für sportlichen Anreiz war somit in zweifacher Hinsicht gesorgt.

Bereits nach dem dritten Spieltag erklomm das in den vorangegangenen Jahren immer mehr zur grauen Maus (und Fahrstuhlmannschaft) verkommene Hansa Rostock die Tabellenführung - und sollte sie bis zum letzten Spieltag auch nicht mehr abgeben.

Trainiert wurden die Küstenstädter vom früheren Werder-Star (und ehemaligen Nationalspieler) Uwe Reinders. Der brachte mit seinen aus dem Westen mitgebrachten Ideen und Trainingsmethoden frischen Wind in die etwas eingestaubten Strukturen der Rostocker.

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Uwe Reinders (2.v.l.) führte Hansa 1991 sensationell zum letzten DDR-Meistertitel! / United Archives/Getty Images

Hansas Mittelfeld-Routinier Axel Schulz erinnert sich: "Er machte vor allem vieles anders. Vorher trai­nierten wir in der Vor­be­rei­tung teil­weise vier Mal am Tag. Da verlor man schon mal die Lust. Unter Uwe Rein­ders wurde dann kürzer und nicht mehr so häufig trai­niert und er hatte auch eine andere Art der Ansprache. Das kam gut bei uns an." (via 11freunde.de)

"Eine völlig neue Situation für uns!"

Hansas Mannschaftskapitän Juri Schlünz pflichtet seinem Teamkollegen bei und hebt auch den pädagogisch neuen Ansatz des Coaches hervor: "(...) wenn ihm unsere Leis­tung im Trai­ning beson­ders gefiel, dann konnte es schon mal vor­kommen, dass er uns den Nach­mittag frei gab. Eine völlig neue Situa­tion für uns."

Dass Reinders seine Rostocker Eleven indes auch fußballerisch durchaus noch zu beeindrucken vermochte, verdeutlicht eine Szene aus dem Trainingsbetrieb, die Schulz auch Jahre danach noch vor Augen hat: "Bei einer Übung, wo wir nach Flanken die Bälle volley aufs Tor schossen, traf bei den ersten zehn Ver­su­chen keiner die Kiste. Uwe Rein­ders unter­brach und ließ sich selbst einen Ball von außen zuspielen."

"Der kam alles andere als optimal und er zim­merte ihn genau in den Winkel. Er verzog keine Miene und sagte nur tro­cken:​ 'So, wei­ter­ma­chen!' Dieses Selbst­be­wusst­sein und Selbst­ver­trauen hat er vorge­lebt und uns ein­ge­impft. Auch davon haben wir pro­fi­tiert."

Showdown gegen Dynamo

Dergestalt dass Hansa am 23. Spieltag, vier Spiele vor Saison-Schluss, mit einem beachtlichen Vorsprung von fünf Punkten (bei herrschender Zwei-Punkte-Regel) in die als vorweggenommenes Meisterschafts-Finale deklarierte Partie gegen die Sachsen ging. Würde die Reinders-Elf gewinnen, soviel stand fest, war ihnen die Meistertrophäe nicht mehr zu nehmen.

Und sie legten, angetrieben von den 17.000 Fans im etwa zu zwei Dritteln gefüllten Ostseestadion, dann auch gleich los wie die Feuerwehr: bereits in der 15. Minute besorgte Schlünz per direkt verwandeltem Freistoß die 1:0-Führung, mit der es auch in die Halbzeitpause ging.

Fünf Minuten nach Wiederanpfiff dann die kalte Dusche: Dynamos Torjäger Thorsten Gütschow traf zum Ausgleich. An der Tabellenkonstellation (Hansa Erster, Dynamo Zweiter) konnte dieser Treffer freilich auch nichts ändern.

Doch die Hansa-Spieler wollten mehr. Wollten diese Liga, die letzte ihres untergegangenen Staates, unbedingt schon an diesem Nachmittag des 4. Mai 1991gewinnen - und legten nochmal alle Reserven in den Schlussspurt.

Schlünz und Fuchs machen den Titel perfekt

Mit Erfolg: erneut Juri Schlünz (68.) (und abermals per Freistoß) und Stürmer Henri Fuchs (83.) sorgten am Ende für klare Verhältnisse. Dynamo war bezwungen - und Hansa feierte eine Meisterschaft, mit der vor der Saison niemand rechnen konnte.

Ein Jahr später sollten beide Teams in der aus organisatorischen Gründen auf 20 Teams aufgeblähten Bundesliga der Bundesrepublik wieder aufeinandertreffen.

Der 1. FC Magdeburg hingegen, eigentlich ein Großer des DDR-Fußballs und vor der Saison weitaus stärker eingeschätzt als Hansa Rostock, schmierte ausgerechnet in dieser zukunftsweisenden letzten Spielzeit ab und wurde 10.

Da sich die Elbstädter auch über die anschließende Quali-Runde nicht für die gesamtdeutsche Zweite Liga qualifizieren konnten, fanden sie sich in der Saison 1991/92 in der schon erwähnten drittklassigen Oberliga Nordost (Staffel Mitte) wieder.

Für Hansa wiederum waren die Feierlichkeiten jener letzten Spielzeit der DDR längst noch nicht vorüber. Knapp einen Monat später sicherte sich die Kogge nämlich auch noch den (letzten) FDGB-Pokal durch einen knappen 1:0-Sieg im Finale gegen Stahl Eisenhüttenstadt.