Haaland-Mentor Alf Ingve Berntsen im 90min-Interview: "Deshalb ist er so einzigartig"

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Eling Haaland hat die Fußballwelt in dieser Saison im Sturm erobert. Ein Dreierpack im ersten Champions-League-Spiel war der Kickstart für einen kometenhaften Aufstieg des 19-jährigen Angreifers, der ihn im Winter zum BVB in die Bundesliga führte. Einer, der Haalands Entwicklung in frühen Jahren begleitete, ist Alf Ingve Berntsen. Der Norweger war acht Jahre lang Haalands Jugendcoach bei Bryne FK. Im 90min-Gespräch schwärmt Berntsen von Haalands Einstellung und sieht eine goldene Zukunft für seinen ehemaligen Schützling voraus.

90min: Wie sah ihre Beziehung zu Erling Haaland aus?
Berntsen: Ich war von 2006 bis 2015 sein Trainer. Ich trainierte eine Gruppe von 40 Spielern aus dem Jahrgang 1999. Erling wurde 2000 geboren, war aber offensichtlich viel zu gut für seine Altersklasse. Wir hatten das Glück, ihn bei Bryne zu haben, und ich bin sicher, er ist froh, dass er bei uns aufgewachsen ist.

90min: Wie haben Bryne und Sie selbst Haalands Entwicklung beeinflusst?
Berntsen: Bryne ist kein großer Klub [derzeit in der dritten norwegischen Liga, Anm. d. Red.] und wir hatten nicht die Infrastruktur einer Akademie. Wie in allen skandinavischen Ländern üblich, haben wir Hallen und Kunstrasenplätze, damit wir auch im Winter spielen können. London oder Paris haben den Straßenfußball, wir haben die Halle. Sie waren frei zugänglich, Erling und seine Mitspieler verbrachten unzählige Stunden auf diesen Plätzen.

Bei Bryne hielten wir die Gruppe in einem familiären Umfeld zusammen bis sie 15 Jahre alt waren. Von klein auf haben sie neben dem Training im Klub (2x die Woche) zusätzlich trainiert. Sie haben wirklich hart gearbeitet und fünf von ihnen sind jetzt Profifußballer.

""Er ist ein großartiger Junge und wird nie vergessen, wo er herkommt.""

90min: Wie wurden Sie zu Haalands Trainer?
Berntsen: Ich war selbst ein passabler Fußballer [einige Länderspiele mit der U18 Norwegens, Anm. d. Red.]. Ich hatte eine schwere Knieverletzung und begann mit 17 Jahren meine Karriere als Trainer. Ich habe einen Abschluss in Wirtschaft und Fußballwissenschaften gemacht, meine UEFA-A-Lizenz erworben und seit nunmehr 30 Jahren trainiere ich alle Altersklassen, von der U6 bis zum Herrenbereich. Ich trainierte den Jahrgang meiner Zwillingssöhne und so kam Erling zufällig zu mir.

90min: Stehen Sie weiter in Kontakt mit ihm?
Berntsen: Ja. Nicht jeden Tag natürlich, aber wir senden uns regelmäßig Nachrichten. Er ist ein großartiger Junge und wird nie vergessen, wo er herkommt. Ich wollte ihn eigentlich in Dortmund besuchen, aber wegen der aktuellen Situation war das nicht möglich.

90min: Wie war er als junger Spieler? Wie erinnern Sie sich an ihn?
Berntsen: Erling hat sich nicht viel verändert. Es wirkt nicht so, aber er ist ein sehr lustiger und fröhlicher Junge. Übrigens habe ich gelesen, dass manche Leute behaupten, er sei früher sehr klein gewesen. Das stimmt aber nicht. Es konnte nur so wirken, weil er mit älteren Spielern zusammenspielte. So hat er gelernt, sich im Strafraum clever zu verhalten, um den körperlichen Nachteil auszugleichen.

""Ehrlich, ich glaube nicht, dass er besondere Schwächen hat. Deshalb ist er so einzigartig.""

90min: War er damals in Bryne schon eine Art "Wunderkind"?
Berntsen: Ich wusste schon früh, dass er international spielen würde. Er hat wirklich hart trainiert und viele Tore geschossen. Er hat heute den gleichen Spielstil wie mit zwölf Jahren. Wie ich schon sagte, es ist alles ähnlich, dazu hat er diese erstaunliche Fähigkeit entwickelt, sich an jedes Level anzupassen.

90min: Was sind Ihrer Einschätzung nach seine größten Stärken?
Berntsen: Er verhält sich sehr klug in der Box, ist taktisch sehr klug. Er hat einen wahnsinnigen Abschluss, mit beiden Füßen und mit dem Kopf, ist sehr schnell und beweglich. Er ist nie ängstlich und hat eine Siegermentalität, die sich bei ihm eingebrannt hat. In den letzten zwei Jahren wurde er stärker und kräftiger [1,94m, 87kg, Anm. d. Red.]. Eine seiner großen Stärken ist es auch, dass er in allen Aspekten sehr diszipliniert ist, sei es bei der Ernährung, bei seinen Schlafgewohnheiten oder seinem Lebensstil. Er ist sehr streng.

90min: Und Schwächen?
Berntsen: Ehrlich, ich glaube nicht, dass er besondere Schwächen hat. Deshalb ist er so einzigartig. Er ist ein guter Konterspieler, gut in Mittelstürmer-Position, er kann verteidigen, Flanken verwerten... Und er kann sich noch überall weiterentwickeln. Im Juli wird er erst 20 Jahre alt.

90min: Sie haben seine Entwicklung hautnah miterlebt. Haben Sie erwartet, dass er schon so früh so durchstartet?
Berntsen: Ich habe immer daran geglaubt, dass er es auf ein Top-Level schaffen wird, aber nicht in diesem Tempo. Einen Dreierpack im ersten Champions-League-Spiel - das hätte ich vor fünf Jahren nicht für möglich gehalten. Ich habe gedacht, er braucht einige Jahre, um sich an die große Bühne zu gewöhnen.

""Einmal wurden wir Zweiter bei einem Turnier in Dänemark und wir machten ein Mannschaftsfoto. Man konnte einen übel gelaunten Erling erkennen.""

90min: Was hat sie an Haalands kometenhaften Aufstieg am meisten beeindruckt?
Berntsen: Dass er immer noch die gleichen Dinge tut, die er in jungen Jahren auch getan hat. Nur jetzt auf der großen Bühne. Er schießt einfach weiter seine Tore, egal auf welchem Niveau. Von Tag eins an, konnte er sich an jede Bühne anpassen und jede Herausforderung meistern.

90min: Wie würden Sie ihn mit einem Kylian Mbappé vergleichen?
Berntsen: Sie kommen aus einem ganz anderen Umfeld. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, beide miteinander zu vergleichen. Mbappé ist bereits auf dem allerhöchsten Niveau angekommen und Weltmeister geworden. Erling steht erst am Anfang seiner internationalen Karriere.

90min: Haben Sie eine besondere Anekdote über Erling Haaland parat?
Berntsen: Ich habe ihn acht Jahre lang trainiert und habe viele schöne Erinnerungen. Aber keinen bestimmten Moment oder ein bestimmtes Spiel. Woran ich mich am meisten erinnere, ist, dass er ein Junge ist, der es absolut hasst zu verlieren. Im Training oder im Spiel hat er alles versucht, um zu gewinnen. Einmal wurden wir Zweiter bei einem Turnier in Dänemark und wir machten ein Mannschaftsfoto. Im Hintergrund konnte man einen übel gelaunten Erling erkennen. Das ist wichtig, denn die besten Athleten hassen es zu verlieren und das ist ein großer Teil von ihm.

90min: Wer waren seine Idole oder Spieler, zu denen er aufschaute?
Berntsen: Er hatte viele Vorbilder. Ich erinnere mich, dass er sich viele Videos von Stürmern anschaute, wie sie sich im Strafraum bewegten, ihre Technik und wie sie vor dem Tor zum Abschluss kamen.

90min: Was halten Sie von Haalands bisherigem Karriereweg?
Berntsen: Erling und seine Familie haben ausgezeichnete Entscheidungen getroffen. Mit 16 verließ er Bryne und ging nach Molde, einem großen Klub in Norwegen. Dann ging er nach Salzburg, wo er beste Trainingsbedingungen hatte. Und jetzt ist er in Dortmund. Schritt für Schritt haben sie die perfekten Entscheidungen für seine Entwicklung getroffen.

90min: Wie lange sollte er Ihrer Meinung nach in Dortmund bleiben? Sehen Sie ihn eher kurz- oder langfristig beim BVB?
Berntsen: Erling und seine Familie wissen, was das Beste ist. Ich kann nur sagen, dass er gerne in Dortmund spielt, und selbst wenn er seine ganze Karriere dort bleibt, wird er großen Erfolg haben.

90min: Falls er den BVB verlassen sollte: Welche Liga oder welcher Verein würde am besten zu ihm passen?
Berntsen: Liverpool! (Lacht) Ich bin Liverpool-Fan, also würde ich ihn natürlich gerne für die Reds spielen sehen. Ich glaube, dass er die Fähigkeit hat, für einen solchen Klub zu spielen. In Norwegen ist der englische Fußball bei Weitem am beliebtesten und es ist der Traum der meisten jungen norwegischen Fußballer, in der Premier League zu spielen, wie es Erlings Vater getan hat.

90min: Real Madrid wird immer wieder mit ihm in Verbindung gebracht...
Berntsen: Ich weiß nicht, welche Strategie Real Madrid, Man United oder andere große Vereine bei Erling verfolgen. Aber ich weiß, wenn ich für einen der 6-8 besten Klubs der Welt verantwortlich wäre, würde ich ihn sofort kaufen. Er ist schon sehr gut, hat eine große Persönlichkeit, schießt viele Tore, egal auf welchem Niveau und ist erst 19 Jahre alt. Er wird sich weiter entwickeln und in zwei Jahren wird er einer der besten sein.

Ole Gunnar Solskjaer war Haalands Coach in Molde
Ole Gunnar Solskjaer war Haalands Coach in Molde / Robbie Jay Barratt - AMA/Getty Images

90min: Welche Beziehung hat er in Molde zu Ole Gunnar Solskjaer aufgebaut?
Berntsen: Erling wollte zu einem Profi-Klub und Molde ist einer der besten in Norwegen. Natürlich hatte Solskjaer Einfluss auf seine Entscheidung, weil er der beste Mann in Norwegen war, der ihm Ratschläge geben konnte. Ich denke, er wird ihn immer als eine inspirierende Figur betrachten und als jemanden, der ihm geholfen hat, auf das Top Level zu kommen.


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