"Ohne ihn wären wir alle nicht so groß geworden!" - Ein Nachruf auf die Legende Gerd Müller

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Dass auch Gerd Müllers letzter Tag irgendwann kommen würde, stand geschrieben. So wie es für uns alle geschrieben steht. Die Nebel des Vergessens verschleierten ihm in den letzten Jahren seines Lebens den Blick auf die Welt. Auf seine Frau Uschi, auf seine einzige Tochter Nicole. Und auch auf seine Mannschaftskameraden, mit denen er so viele Schlachten auf den Spielfeldern dieser Welt geschlagen hatte.


Heute nun ist er im Alter von 75 Jahren gestorben. Doch wie alle großen Persönlichkeiten nach ihrem letzten Abschied lebt er jetzt erst richtig auf. Nämlich in uns. Und in unseren Erinnerungen an legendäre Spiele, an triumphale Siege - und an Tore, Tore und nochmals Tore.

Ich wollte immer Gerd Müller sein

Als ich das erste Mal mit einem Fußball einen Schuss auf ein gegnerisches Tor abgab, hatte ich seinen Namen vor Augen. Dabei teilte ich tatsächlich eben nur seinen Nachnamen mit ihm. Und das Initial des Vornamens.

Denn weder war ich damals klein und untersetzt, noch hatten meine Oberschenkel ein Volumen wie die des Bombers der Nation.

Aber in spielerischer Übernahme seiner Identität glaubte ich, mit der Kindern eigenen Illusion, dem Geheimnis seiner Treffsicherheit auf den Grund zu kommen. Ich sollte mich irren. Doch auch das stand wohl schon geschrieben.

Wie soll, wie kann man einen Spieler würdigen, der alle Rekorde, die es in dieser Facette des Toremachens aufzustellen galt, gebrochen hat? Selbst wenn diese nun ihrerseits, nach und nach, in andere, jüngere Hände fallen werden.

Einen davon, nämlich 40 Tore in einer Bundesliga-Saison zu erzielen, konnte ein Pole namens Robert Lewandowski nicht nur einstellen, sondern sogar noch um ein Tor überbieten.

Robert Lewandowski
Mit diesem Treffer gegen den FCA brach Robert Lewandowski den fast fünfzigjährigen Rekord von Gerd Müller / Alexander Hassenstein/Getty Images

Das war im Mai dieses Jahres, als Gerd Müller, im nicht zu gewinnenden Kampf gegen die Auflösung des eigenen Körpers, schon seit geraumer Zeit im Todesbett lag - hingebungsvoll und bis zum letzten Atemzug von Uschi, der Frau seines Lebens, gepflegt.

Er wird die neue Bestmarke des Polen nicht mitbekommen haben. Doch selbst wenn - er hätte sich für Lewa gefreut. Denn so war er, der Gerd. Ein Freund seiner Freunde. Und niemandes Feind. Ausgenommen die gegnerischen Abwehrreihen.

Der Schrecken aller Verteidiger

Die er, eine nach der anderen, mit einer bis dahin nicht gekannten Präzision, Kaltblütigkeit und Konstanz in ihre Einzelteile zerlegte.

Lest es nach in den Zeugnissen der Altvorderen. Bei den nun auch ins stolze Alter vorgerückten Fans von Atlético. Oder von Leeds United. Oder von der AS St. Etienne.

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Atlético Madrid erledigte Gerd Müller im Wiederholungsspiel des Europapokal-Finals von 1974 fast im Alleingang. Zweimal traf er beim 4:0 der Bayern / -/Getty Images

Um nur die Finalgegner der drei Europapokal-Titel der Landesmeister zu nennen, die Gerd Müller zwischen 1974 und 1976 mit seinen Bayern gewinnen konnte.

Wobei er, um der Chronistenpflicht Genüge zu tun, gegen die Franzosen ausnahmsweise mal nicht traf. Doch selbst ohne Torerfolg zog er regelmäßig die Aufmerksamkeit der gegnerischen Hintermannschaft auf sich.

So auch am 12. Mai 1976 im Glasgower Hampden Park. Den aufstrebenden französischen Meister erledigte statt seiner Franz "Bulle" Roth, der immer dann zur Stelle war, wenn gar nichts mehr ging. Selbst ein Müller-Tor nicht. Was selten genug vorkam...

Fragt nach bei den Torhütern der ungezählten Bundesligisten, die sich in all den Jahren seiner Karriere der unmöglichen Aufgabe stellten, eine Naturgewalt mit bloßen Händen aufzuhalten.

365 Tore in 427 Bundesligaspielen - es gab also schon lange vor den Messis und Cristianos unserer Tage wahre Genies in der Kunst, das Runde ins Eckige zu befördern.

Fragt nach bei den großen Verteidigern der größten Fußball-Nationen. Oder bei den Stadiongängern dieser Welt, von Mexiko-City bis Madrid, von Brüssel bis Birmingham. Von Paris bis Barcelona.

Bei all jenen, die im sicheren Gefühl, Zeugen historischer Taten geworden zu sein, stolz davon berichten, einigen der 68 Tore in 62 Länderspielen des Tor-Ungeheuers beigewohnt zu haben.

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Müllers wichtigstes Tor im DFB-Dress: das 2:1 im WM-Finale 1974 gegen Holland / -/Getty Images

Auch der Kaiser zollte dem König der Torjäger seinen Respekt

Oder erinnert euch einfach der Worte der Lichtgestalt des deutschen Fußball. Denn auch Franz Beckenbauer wusste schon immer, dass seine Flamme ohne die Entzündung durch Gerd Müller nie so hell hätte erstrahlen können, wie sie es über Jahrzehnte hinweg tat.

"Ohne ihn wären wir alle und der FC Bayern niemals so groß geworden." Caesar dixit. Und einem Kaiser widerspricht man nicht.

Die an ein schöneres Leben im Himmel nach dem irdischen Dasein glauben, sind nun voller Vorfreude. Denn welch Mannschaft bildet sich in den Weiten der Überwelt nun heraus. Diego Armando Maradona hat jedenfalls endlich einen ihm ebenbürtigen Abnehmer für seine genialen Zuspiele gefunden.

Alle anderen hingegen werden nun trauern um den größten Torjäger (sorry, an die Pelés, Puskás, die Stefanos usw. da draußen), den dieser Sport je hervorgebracht hat.