Früher als erwartet: Daniel Thioune schon nach 8 Spieltagen als Krisen-Manager gefragt!

Muss schnell die Kurve kriegen: HSV-Coach Daniel Thioune
Muss schnell die Kurve kriegen: HSV-Coach Daniel Thioune / DeFodi Images/Getty Images
facebooktwitterreddit

Fünf Siege zum Auftakt - reines Glück? Oder Unvermögen der Gegner, die man vielleicht ihrerseits in einem schwachen Moment erwischt hat? Fakt ist, dass man es sich als HSV-Fan mit Verweis auf die Tabelle immer noch einigermaßen schön reden kann. Man führt sie an, und von den ersten Acht des Tableaus hat man vier Mannschaften (Fürth, Paderborn, Aue und Düsseldorf) geschlagen. Fakt ist aber auch, dass mindestens zwei dieser Spiele ganz leicht ebenso in die andere Richtung hätten laufen können. Und Fakt ist nunmehr auch, dass man die letzten drei Partien nicht mehr gewinnen konnte.

Das wirklich Beunruhigende jedoch ist, dass die gestrige 1:3-Heimniederlage gegen den VfL Bochum absolut verdient war. Es war ein Punkteverlust, in diesem Fall dreifach, den man sich auch nicht mit irgendwelchen Blackouts in der Schlussphase (wie noch in Kiel) schönreden kann. Das haben Trainer und Spieler gestern auch nicht getan. Wohlwissend, dass sie sich damit auch der Lächerlichkeit preisgegeben hätten.

Als Fan gerät man, je nach Persönlichkeitsstruktur, schnell in eine Dynamik. Entweder man sieht alles nur noch schwarz oder man versucht sich am kleinsten Strohhalm festzuhalten. Mein Strohhalm nach dem 2:2 im Stadtderby war der Verweis auf die besondere Charakteristik eines solchen Bruderkampfes. Dass es bei solchen Spielen nicht auf die höhere fußballerische Qualität der Einzelspieler ankomme, sondern auf das richtige Auftreten als Kollektiv.

Warum sieht man die HSV-Spieler so selten am Anschlag?

Doch schon damals hätte man mir locker-flockig entgegenhalten können: warum denn kriegt es der HSV regelmäßig nicht gebacken, diese Eigenmotivation zu schüren, diese simplen Primärtugenden eines Fußballers abzurufen? Warum ist der Gegner denn jedes Mal ganz offensichtlich galliger und heißer als die eigene Truppe?

Und beim Versuch der Beantwortung dieser Frage landet man dann ziemlich schnell und unweigerlich beim Trainer. Denn der sollte eigentlich dafür verantwortlich zeichnen, seiner Truppe diese Bereitschaft, einmal die Woche hundert Prozent abzuliefern (statt nur 80 oder 90), einzuimpfen.

Die beiden Unentschieden gegen St. Pauli und in Kiel konnte sich Daniel Thioune zwar noch so zurechtlegen, wie es ihm passte. Spätestens seit gestern ist er aber gefordert, mehr als nur Plattitüden von wegen Entwicklungsprozess als Entschuldigungen für derartige Nicht-Leistungen abzugeben. Und die gestrige Leistung war eine Nicht-Leistung. Ohne wenn und aber. Und das ist das eigentlich Bedenkliche an der Niederlage.

Daniel Thioune durchlebt mit dem HSV die erste längere Durststrecke
Daniel Thioune durchlebt mit dem HSV die erste längere Durststrecke / Martin Rose/Getty Images

Denn der Wille, sich an einem Spieltag notfalls bis zur völligen Erschöpfung zu verausgaben, sollte eigentlich unabhängig von den fußballerischen Entwicklungsschritten bei jedem Profi vorhanden sein. Die Profis des FC Bayern gewinnen zur Zeit - gefühlt - jedes Spiel. Und zwar nicht, weil sie ihren großen Vereinsnamen vor sich her tragen - sondern weil sie nahezu jedes Spiel, auch gegen vom Papier weitaus schlechter besetzte Teams, angehen, als sei es ein Champions-League-Finale.

Sündenböcke zu präsentieren ändert nichts am Grundproblem

Und wenn diese Bereitschaft der Spieler, sich zu quälen, nicht da ist, muss der Trainer eben die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Dazu reicht es aber nicht, sich ein paar Spieler aus dem Kader (wie z.B. Lukas Hinterseer) herauszupicken, und dem Volk quasi als Alleinschuldigen für die Misere eines nicht von der Hand zu weisenden Qualitätsgefälles im Kader zu präsentieren.

Denn wie anders lässt sich die erneute Nichtberücksichtigung des im Vorjahr noch zweitbesten Torschützen interpretieren? Beim Freundschaftsspiel gegen Viborg stand der Österreicher, zusammen mit einigen anderen, die an diesem Tag ebenfalls nicht annähernd ihre Normalform erreicht haben, auf dem Platz. Doch abgestraft wurden nur er, die Jugendspieler Fabisch und Hein und der immer noch nicht in Hamburg angekommene Amaechi.

Warum im Gegenzug ein Bobby Wood, der es offensichtlich nicht hinkriegt, das ihm geschenkte Vertrauen auch nur ansatzweise zu rechtfertigen, trotzdem Woche für Woche eine neue Bewährungschance erhält - eine von vielen Fragen. Warum eine Innenverteidigung, die sich zuletzt gefunden hatte, ohne Not zerrissen wird, wäre eine weitere. Oder warum der Trainer weiterhin darauf besteht, möglichst das Maximum an 16 einsetzbaren Spielern pro Spiel zu bringen, obwohl die angebliche Gleichwertigkeit im Personal gar nicht vorhanden ist - und diese Vielfachwechsel in bislang jedem Spiel zu Unruhe und einem Bruch im Spiel geführt haben.

Gastspiel in Heidenheim schon mit Charakter eines Schicksalsspiels

Fragen über Fragen, auf die Thioune jetzt dringend Antworten braucht. Am besten schon bei der nächsten (schweren) Aufgabe in Heidenheim. Und wenn er sie nicht im aktuellen Kader findet, muss er auf diese Missstände hinweisen und - leere Kassen hin oder her - personelle Alternativen einfordern. Oder es einfach mal mit hungrigeren Akteuren aus der zweiten Mannschaft probieren.

Alleine schon deshalb, um den Prozess der Selbstgenügsamkeit, in den schon wieder einige Spieler abzugleiten drohen, zu stoppen. Denn diese Selbstgenügsamkeit verbreitet sich wie ein Virus und steckt am Ende alle im Kader an. Auch die Fans werden es sicherlich leichter verkraften, ein Spiel aufgrund von Fehlern irgendwelcher Nachwuchskicker zu verlieren, als aufgrund völliger Lustlosigkeit der vermeintlichen Stars.

Doch dazu gehört konsequentes Handeln. Ohne Rücksicht auf persönliche Eitelkeiten. Vielleicht auch eine Veränderung in puncto Intensität und Schwerpunkte der Trainingseinheiten. Warum, z.B. schießt der HSV weiterhin die gefühlt schlechtesten Eckbälle/Standards ligaweit? Das sind Dinge, die man über wochenlanges Training ganz schnell verändern kann.

Sich weiterhin mit dem Verweis auf die Tabellenführung die Dinge schönzureden, würde jedenfalls bedeuten, in den selben fatalen Prozess zu verfallen, wie schon in den beiden vorherigen Saisons. Und die Tabellenführung wäre dann auch spätestens am nächsten Sonntagnachmittag endgültig futsch.