"Frauen sind keine kleinen Männer" – Das neue Problembewusstsein der FIFA
Von Alina Ruprecht
Bis heute ist im internationalen Fußball ein Großteil an Strukturen und Konzepten auf männliche Spieler und deren Bedürfnisse zugeschnitten. Frauen, die in dem Sport grundsätzlich andere physische Voraussetzungen mitbringen, sehen sich weiterhin genötigt, sich den unpassenden Bedingungen unterzuordnen. Seien es Fußballschuhe, die ausschließlich auf Männer-Füße angepasst sind, oder die fehlende Berücksichtigung des weiblichen Zyklus in Trainingsplänen: viele Faktoren hindern die Spielerinnen daran, ihr volles Potenzial auf dem Rasen abzurufen.
Diesem Problem widmet sich bereits seit längerem die FIFA und geht ihm im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte auf den Grund. 90min.de hat zu diesem Thema ein exklusives Gespräch mit Arijana Demirovic geführt. Sie ist Head of Women's Football Development beim Weltverband.
"Wir haben in den letzten 18 Monaten ziemlich viel im Hintergrund gearbeitet", erklärt sie. "Bei der FIFA versuchen wir zu verstehen, wie wir mit dem Training und der Entwicklung von Frauen als Frauen beginnen, und sie nicht als kleine Männer angesehen werden, wie es seit vielen Jahren der Fall ist." Hierfür gebe es umfangreich angelegte Forschungsprojekte, bei der die FIFA mit Gruppen von AkademikerInnen zusammenarbeitet.
Ziel ist es zunächst, das, was bereits wissenschaftlich zu Themen wie Zyklus und Menstruation erarbeitet wurde, im Hinblick auf den Fußball der Frauen zu kontextualisieren.
Einbezogen werden dabei Aspekte wie Unterschiede in der Physiologie zwischen Männern und Frauen, aber auch die Auswirkungen von Ernährung und Schlaf auf die Leistungsfähigkeit der Athletinnen. "Wir müssen zugeben, dass viele Forschungen, insbesondere im Fußball, auf dem Männerfußball basieren. Daher verstehen wir, dass Forschungsbedarf besteht", sagt Demirovic offen. Ergebnisse der Forschungsprojekte würden zeitnah für Mitgliedsverbände, Ligen und Vereine zugänglich gemacht, die diese in Partnerschaften mit Universitäten und anderen Einrichtungen weiterverarbeiten werden.
"Das Interesse ist groß", betont Demirovic. "Für uns ist es wichtig zu verstehen, was wirklich gebraucht wird. Wir arbeiten mit der UEFA zusammen und einige unserer Mitgliedsverbände arbeiten an ihren eigenen Projekten, die als Fallstudie dienen. Diese sollen aufzeigen, was funktioniert und was nicht. Wir prüfen auf jeden Fall, wie wir die Leistung der Spielerinnen steigern können."
Im Südsudan läuft aktuell ein Pilotprojekt des Weltverbandes. Untersucht werden dort die Bedürfnisse von Frauen hinsichtlich des Zugangs zu Hygieneprodukten, sowie des Aufbaus von Bewusstsein und Aufklärung rund um das Thema. Zusätzlich untersuchen mehrere DoktorandInnen, unter anderem in Australien, für die FIFA den Zusammenhang zwischen dem weiblichen Zyklus und der Leistungsfähigkeit von Profi-Sportlerinnen.
Dass das eine das andere beeinflusst, ist längst erwiesen. Mehrere europäische Spitzenvereine, wie Chelsea FC, bieten ihren Spielerinnen zyklusbasiertes Training an. Dazu gehört auch, die verschiedenen Phasen und Symptome zu tracken, die die Frauen vor und nach der Menstruation regelmäßig durchleben. Dieses Vorgehen ist enorm wichtig, wenn es um die Verletzungsprävention geht. In bestimmten Zyklusphasen besteht aufgrund des veränderten Hormonhaushalts im weiblichen Körper ein deutlich höheres Verletzungsrisiko.
Dieses wird auch durch andere Faktoren erheblich beeinflusst: zu volle Spielpläne, zu kurze Regenerationszeiten, Reisestress und mangelhafte Infrastrukturen. Viele Top-Stars fehlen derzeit ihren Teams mit schweren Verletzungen. Besonders die Zahl an Kreuzbandrissen hat dramatisch zugenommen. Die zweifache Weltfußballerin Alexia Putellas, Beth Mead und Giulia Gwinn sind nur drei Namen auf einer viel zu langen Liste schwer verletzter Spielerinnen.
Hinsichtlich der Weltmeisterschaft, die 2023 in Australien und Neuseeland stattfindet, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen die FIFA treffen wird, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Teilnehmerinnen bestmöglich zu schützen. Zwischen den verschiedenen Spielorten stehen lange und stressige Reisen, sowie Quartierwechsel für die Mannschaften an. Zudem werden in einer kurzen Zeitspanne viele, intensive Partien absolviert, zwischen denen nur wenig Zeit für Erholung bleibt.
Der Weltverband scheint sich dieser Problematik grundsätzlich bewusst zu sein. Um den Reisestress zu mindern, sollen die Mannschaften in sogenannten "team-based camps" untergebracht werden. Diese bestehen aus einer festen Unterkunft und Trainingsstätte. Im Rahmen der Auslosung der Gruppenphase im Oktober waren mehrere NationaltrainerInnen vor Ort in Australien und haben sich mögliche Camps persönlich angesehen.
"Bei der Auslosung war es wichtig, dass jedes Team seine Gruppenspiele ausschließlich in einem der beiden Länder, entweder Australien oder Neuseeland, spielen wird", erklärt Demirovic. Den Turnierstress müsse man schon in der Gruppenphase minimieren. Demirovic fügt hinzu: "Die Möglichkeit besteht, dass Teams nach den ersten Runden von Neuseeland nach Australien umziehen müssen. Es gibt eine Menge Arbeit um sie herum, um zu verstehen, was in Australien und Neuseeland passiert, was die Wetterbedingungen sind, was die verschiedenen Veränderungen mit sich bringen."
Zusätzlich veranstaltete die FIFA einen Workshop mit allen TrainerInnen, um organisatorische Details zu besprechen. "Außerdem haben wir versucht sicherzustellen, dass sie wissen, dass wir sie bei Bedarf unterstützen können", hebt die Funktionärin des Weltverbands hervor.
Durch die frühe Planung und Vorbereitung soll für reibungslose Abläufe im nächsten Sommer gesorgt werden. Die FIFA ist sichtlich bemüht, den Spielerinnen ein möglichst stressfreies Turnier zu ermöglichen, in dem alle ihr volles Potenzial abrufen können. Inwiefern dieses Vorhaben in der Praxis fruchtet, bleibt abzuwarten. In Demirovic’s Stimme schwingt die Hoffnung mit: "Hoffentlich werden wir nicht viele Verletzungen sehen."
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