"Noch ein Schritt bis nach Wembley: Das Halbfinale im Check" - Die EM-Kolumne von Julia Simic
Von Julia Simic
Julia Simic hat für den FC Bayern, Turbine Potsdam, den VfL Wolfsburg und den SC Freiburg insgesamt 186 Bundesligaspiele bestritten. Die ehemalige deutsche Nationalspielerin war zwei Jahre lang für West Ham United in der FA Women's Soccer League sowie ein Jahr für AC Mailand in der Serie A aktiv. Gegenwärtig ist die 33-Jährige für den DFB als Co-Trainerin der U17-Juniorinnen tätig und arbeitet als TV-Expertin für DAZN, Sky und Magenta Sport.
Für 90min hat Simic ihre Gedanken zu den bevorstehenden Halbfinalspielen der EM 2022 in England zusammengefasst:
England - Schweden
Im ersten Halbfinale halte ich England für den klaren Favoriten. Der Gastgeber ist den Schwedinnen meines Erachtens physisch überlegen und bringt vor allem die bessere Spielanlage mit. Allerdings darf man nicht vergessen, dass den Engländerinnen 120 intensive Minuten gegen Spanien in den Knochen stecken.
Genau darin könnte die Chance für das Team von Peter Gerhardsson liegen. Schweden hat mich bislang nicht überzeugt, auch wenn sie gegen Belgien absolut verdient in die Runde der letzten Vier eingezogen sind. Dennoch sind die Skandinavierinnen eine seit Jahren gewachsene Turniermannschaft, die aufgrund ihrer Erfahrung und Zweikampstärke unangenehm zu bespielen ist. Hinzu kommt, dass Einzelkönnerinnen wie Kosovare Asllani, Fridolina Rolfö oder Stina Blackstenius immer für einen genialen Moment gut sind.
Noch ein Wort zum englischen Viertelfinale gegen Spanien, das ich live vor Ort erleben durfte. Die Partie war über die gesamte Spielzeit unheimlich intensiv und ausgeglichen, beide Mannschaften hätten gewinnen können. Am Ende war es auch die sagenhafte Stimmung im Community Stadium in Brentford, die den Ausschlag für die Lionesses gegeben hat.
Von Spanien bin ich – über das gesamte Turnier betrachtet – trotzdem enttäuscht. Die Mannschaft von Jorge Vilda hat es nicht geschafft, ihre tolle Spielanlage auch in Tore umzumünzen, in Sachen Durchsetzungsvermögen und Abschlussstärke reichte es einfach nicht. Natürlich darf man nicht vergessen, dass mit Jenni Hermoso und Weltfußballerin Alexia Putellas zwei Schlüsselspielerinnen ausgefallen sind.
Deutschland - Frankreich
Im zweiten Halbfinale wartet auf die DFB-Elf ein echter Kracher. Frankreich ist individuell extrem gut besetzt und bringt im Angriff etwa mit Delphine Cascarino oder Kadidiatou Diani unglaubliche Geschwindigkeit und Athletik mit. Deutschland darf die Französinnen nicht in ihre blitzschnellen Umschaltmomente kommen lassen und muss gerade auf den Außenbahnen die Räume eng machen. Die Équipe Tricolore arbeitet viel mit Spielverlagerungen, um ihre Flügelspielerinnen in Szene zu setzen. Darauf muss sich das deutsche Team einstellen, wenn es mit dem Finaleinzug klappen soll.
Gleichwohl hat man beim französischen 1:0 gegen die Niederlande gesehen, wo Les Bleus verwundbar sind. Frankreich ist gegen den Titelverteidiger zwar gerade im ersten Durchgang sehr dominant aufgetreten und verdient weitergekommen. Im defensiven Umschaltverhalten, das wurde bereits in der Gruppenphase deutlich, gewähren die Französinnen ihren Gegnern allerdings zu viele Räume. Diese Schwachstelle muss Deutschland nutzen.
Die deutsche Mannschaft hatte im Viertelfinale Glück, dass sie ihre weiße Weste behalten und erneut zu Null gespielt hat. Österreich, dem man für seine tolle Turnierleistung ein großes Kompliment aussprechen muss, hätte zu einem echten Stolperstein werden können. Drei Aluminiumtreffer sprechen eine klare Sprache.
Die DFB-Frauen haben sich das nötige Glück über das gesamte Turnier hinweg aber auch erarbeitet. Gegen die Österreicherinnen hat Lina Magull zu einem Zeitpunkt die Führung markiert, als das Spiel auf Messers Schneide stand. Im Laufe der zweiten Halbzeit ist es Deutschland dann gelungen, die Österreicherinnen dank deutlich längerer Ballbesitzphasen vom eigenen Tor fernzuhalten. Dass sich die DFB-Elf leichter tat, die richtigen Räume zu finden, hing auch mit der Einwechslung von Linda Dallmann zusammen.
Insgesamt glaube ich, dass Deutschland im Halbfinale die Nase vorn hat. Alex Popp und Co. wirken auf mich stabiler als die Französinnen, defensiv kompakter und mental gefestigter. Darüber hinaus hatte die deutsche Mannschaft einen Tag länger Zeit, um zu regenerieren, während Frankreich sogar in die Verlängerung gehen musste. Bei einem eng getakteten Turnier wie einer Europameisterschaft kann das durchaus ein entscheidender Faktor werden.
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