Profitiert die Frauen-Bundesliga vom EM-Hype? 7 Erkenntnisse zum 1. Spieltag
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein erster Spieltag liefert noch keine echten Erkenntnisse. Stimmt das? 90min hat den Versuch unternommen und zum Bundesliga-Auftakt sieben Beobachtungen gemacht, die eine nähere Betrachtung verdienen.
1. Ein Spieltag für die Außenverteidigerinnen
Die Qual der Wahl bei der Topelf des Spieltags: Viele Außenverteidigerinnen lebten ihre offensive Ader an diesem Spieltag aus und hatten damit maßgeblichen Anteil am Erfolg ihres Teams. Oft war dabei eine Asymmetrie zu erkennen, wobei auf der einen Seite die Rolle sehr offensiv interpretiert wurde und auf der anderen vor allem auf Stabilität gesetzt wurde.
Gut zu sehen war das beispielsweise beim 1. FC Köln, wo Andrea Gavric und Ally Gudorf beide einen guten Job machten. Letztere zeigte viel Offensivdrang und zog immer wieder nach innen. Auch an der Entstehung des 1:0 war das Kölner Eigengewächs maßgeblich beteiligt, trotzdem brannte auf ihrer Seite nichts an. Ihr Pendant Gavric war meist etwas zurückhaltender, klärte aber auch viele Bälle und steuerte die Vorlage für das 2:0 bei.
Auch bei Freiburg (Linksverteidigerin Marie Müller sicherte mit einem Sonntagsschuss den Sieg), Bremen (Brandenburg als Aktivposten auf rechts) und Potsdam (Amber Barrett in der neuen Rolle als Außenverteidigerin überzeugend) fielen Spielerinnen auf dieser Position auf. Ein gutes Wochenende für die Außenverteidigerinnen, die sonst eher wenig im Fokus stehen.
2. Wolfsburg: Vier mal Neun macht 4:0
Wolfsburgs Kader ist in der Breite stark, aber eine Position ist besonders gut besetzt: In der Sturmspitze kann Tommy Stroot aus gleich fünf Spielerinnen wählen, die bereits in dieser Position gespielt haben. Ewa Pajor und Alexandra Popp fühlen sich dort am wohlsten, aber auch Tabea Waßmuth und Jill Roord haben bereits als Nummer Neun gespielt, und das nicht ohne Erfolg.
Stroot stellte diese vier Spielerinnen auf – Pauline Bremer als weitere Alternative saß auf der Bank – und sah, dass sie sich gut ergänzten. Die Wolfsburger Offensive zeigte sich flexibel und dynamisch, immer wieder tauschten die Spielerinnen auch Positionen oder überluden einen Flügel. So entstand ein gutes Zusammenspiel, bei dem Pajor, die wieder ihr hervorragendes Gespür für die Räume bewies, als Anspielstation im Fokus stand. Popp dagegen brachte sich mit vielen guten Zweikämpfen ein, zeigte aber auch einen schönen Steilpass auf Pajor. Roord war für Essen schwer zu greifen und zog öfters mehrere Verteidigerinnen auf sich, sodass Pajors natürliches Habitat, die Lücken zwischen den Verteidigerinnen, entstehen konnte.
Waßmuth war in der ersten Hälfte noch am unauffälligsten, zeigte aber in einigen Szenen, dass sie und Pajor sich bereits intuitiv verstehen. Dass diese drei Spielerinnen dazu noch Torgefahr ausstrahlen – Popp erzielte das 2:0, Waßmuth legte kurz darauf nach – macht Wolfsburgs Offensive schwer ausrechenbar.
3. Essen, Meppen und Bremen mit ansprechenden Vorstellungen
Auch wenn keines dieser drei Teams mit einem Sieg vom Platz gehen konnte, präsentierten sie sich doch nicht als Abstiegskandidaten. Essen hielt mutig gegen Wolfsburg dagegen und versuchte auch, sich mit flachen Pässen in den Strafraum zu kombinieren. Bereits letztes Jahr hatte die SGS spielerisch gute Ansätze gezeigt, in einigen Szenen aber Ruhe und die Nerven beim Abschluss vermissen lassen. Auch gegen Wolfsburg war dies noch zu sehen, aber von der Spielanlage her macht es Essen bereits sehr gut.
Aufsteiger Meppen präsentierte sich gegen Freiburg über weite Strecken des Spiels auf Augenhöhe und verschanzte sich ebenso wenig vor dem eigenen Tor. Stattdessen wurde auf ein gutes Pressing und einige Dribblings gesetzt. Eine bittere Ironie des Schicksals: Genau so ein Moment, in dem die schöne Lösung statt der einfachen gesucht wurde, führte zum entscheidenden Tor für Freiburg. Lydia Andrade, Meppens auffälligste Spielerin, versuchte sich in der eigenen Hälfte an einem Hackentrick – der Ball kam nicht an und Freiburg nutzte die Chance. Trotzdem wäre es wünschenswert, dass Meppen daraus nicht die Lehre zieht, in Zukunft ihr Glück nur mit Auf-Nummer-Sicher-gegangen-Pässen und langen Bällen zu suchen.
Bremen zeigte am ersten Spieltag ebenfalls Indizien dafür, dass die Torquote der letzten Saison übertroffen werden wird. Bei neun Toren wirkt das zugegebenermaßen nicht sehr schwierig, aber der Ansatz wirkte, zumindest gegen Potsdam, etwas offensiver als letztes Jahr. Bremen rückte bei eigenen Gegenangriffen öfters mit mehreren Spielerinnen auf, statt den Konter des Konters zu fürchten, und erspielte sich einige Chancen. Dabei bewahrten sie sich ihre Kernkompetenz, Werder nahm Potsdam einige Bälle vom Fuß und gewann viele Zweikämpfe. Trotzdem bleibt die Entscheidungsfindung im letzten Drittel verbesserungswürdig, oft wurde in diesen Situationen doch noch auf die Flanke zurückgegriffen. Dennoch war es, besonders in der ersten Hälfte, ein Auftritt, der Werder-Fans Mut gemacht haben könnte.
Ein spannender Abstiegskampf könnte sich daher abzeichnen. In diesen Trend fügte sich lediglich der MSV Duisburg nicht mit ein, der im Spiel nach vorne zu ideenlos und langsam wirkte. Auch wenn die Defensive gegen Leverkusen sehr stabil stand: Für den Klassenerhalt müsste beim Spielaufbau ein großer Schritt nach vorne gemacht werden.
4. Neuer Bayern-Trainer Alexander Straus: Es läuft noch nicht rund
Eine dominantere Spielanlage mit mehr Ballbesitz will der neue Trainer Alexander Straus beim FC Bayern etablieren. Im Eröffnungsspiel bei Eintracht Frankfurt waren die Münchnerinnen von diesem Ziel noch weit entfernt. Viel zu oft suchte die Abwehrkette um die auffällige Neuverpflichtung Tainara vergeblich nach einer Anspielstation, viel zu selten gelang es, das Frankfurter Pressing auszuhebeln oder mit langen Ballstafetten das Spiel an sich zu reißen.
"Heute waren wir nicht gut genug, um zu gewinnen", gab auch der Norweger zu und forderte von seinem Team eine Steigerung in den nächsten Partien. Die erste Gelegenheit dazu bietet sich in der Champions-League-Quali gegen Real Sociedad am Dienstagabend.
5. Der 1. FC Köln hat das Zeug zur Überraschungsmannschaft
Bereits vor dem ersten Spieltag hatten viele Fans den 1.FC Köln als potenzielle Überraschungsmannschaft auf dem Zettel. Nach dem 3:1-Erfolg gegen Champions-League-Aspirant TSG Hoffenheim gelten die Geißböcke mehr denn je als Geheimtipp. Gegen die Kraichgauerinnen legten Mandy Islacker und Co. eine überragende erste Halbzeit hin und gingen mit einer verdienten 3:0-Führung in die Pause.
Zur Wahrheit gehört allerdings, dass die Kölnerinnen im zweiten Durchgang nicht an diese Leistung anknüpfen konnten. Gegen zehn Hoffenheimerinnen - Jana Feldkamp hatte nach gut 30 Minuten die Rote Karte gesehen - hatte das Team von Sascha Glass sogar Glück, dass der Sieg nicht noch in Gefahr geriet.
Trotzdem scheint der FC in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht zu haben. Einem großen personellen Umbruch in diesem Sommer mit vielen jungen Neuverpflichtungen gingen die Zweitliga-Meisterschaft und der souveräne Klassenerhalt in der letzten Saison voraus. Junge Talente wie Ally Gudorf, Lotta Cordes oder Celina Degen bringen enormes Potenzial mit, hinzu kommen erfahrene Anführerinnen wie Kapitänin und Torjägerin Mandy Islacker oder Neuzugang Sarah Puntigam. Was spricht dagegen, dass die Kölnerinnen im oberen Tabellendrittel landen?
6. Wundertüte Potsdam: Defensiv hui, offensiv pfui
Turbine Potsdam wurde in den vergangenen drei Jahren jeweils Vierter und verpasste die Champions-League-Qualifikation nur denkbar knapp. Nach dem Abgang von 14 (!) Spielerinnen, vielen jungen Neuzugängen, der Entlassung von Trainer Sofian Chahed und dem Rücktritt von Präsident Rolf Kutzmutz muss die Turbine in dieser Saison kleinere Brötchen backen. Wie klein die Brötchen in Potsdam tatsächlich werden, lässt sich nur schwer prognostizieren. Die Brandenburgerinnen sind eine Art Wundertüte, von der man zum jetzigen Zeitpunkt noch überhaupt nicht weiß, was drin ist.
Der Saisonstart gegen Werder Bremen lässt zumindest den Schluss zu, dass die Brandenburgerinnen wie erwartet nichts mit der Königsklasse zu tun haben werden. Der Aderlass im Sommer war einfach zu groß, und der neue Chef an Seitenlinie Sebastian Middeke mag zwar ein fähiger Mann sein, aber eben doch kein Zauberer. Gegen die Grün-Weißen standen die neue Kapitänin Noemi Gentile und Co. defensiv weitgehend stabil. Nach vorne strahlte Potsdam indes nur wenig Gefahr aus und tat sich schwer, Chancen zu kreieren.
Ob die Potsdamerinnen ihre Spielanlage schon bald weiterentwickeln können oder ob die Qualität der Truppe schlicht nicht für mehr Offensivgeist reicht, weiß vermutlich nur der Fußballgott. Kommende Woche gegen Aufsteiger MSV Duisburg müssen auf jeden Fall die ersten drei Zähler der Saison her.
7. Profitiert die Bundesliga vom EM-Hype? Ein vorsichtiges Ja!
Die Europameisterschaft im Juli hat dem Frauenfußball große Aufmerksamkeit beschert. Nach dem Turnier stellte sich die Frage, ob sich die Euphorie auch auf die Bundesliga überträgt. Dass der Auftakt-Spieltag ein spezieller ist und sich die Entwicklung erst im Liga-Alltag bestätigen muss, liegt auf der Hand. Trotzdem stimmen die Zuschauerzahlen vom Wochenende zuversichtlich.
Zusätzlich zum großartigen Zuschauerrekord im Eröffnungsspiel kamen am ersten Spieltag bei allen Klubs deutlich mehr Anhänger ins Stadion als im Durchschnitt der Vorsaison. Der VfL Wolfsburg freute sich im AOK-Stadion über 3.217 Fans (Vorjahresdurchschnitt: 1.219), der 1. FC Köln über 1.200 (Vorjahr: 960) und Werder Bremen über 578 Fans (Vorjahr: 370). Dieselbe positive Entwicklung verzeichneten die beiden Aufsteiger SV Meppen (1.025 Zuschauer im Vergleich zu durchschnittlich 341 in der vergangenen Spielzeit) und MSV Duisburg (424 anstelle von 327 Unterstützern).
Die kommenden Monate werden Aufschluss darüber geben, ob sich die Zuschauerzahlen nachhaltig nach oben entwickeln oder ob das Interesse wieder abflacht. Frankfurts Sara Doorsoun ist zuversichtlich, dass sich Fußballabende wie der am Freitag vor der 23.200-Rekord-Kulisse wiederholen lassen. "Was die Fans geleistet haben, war für den Frauenfußball in Deutschland überragend. Wenn man uns die Bühne lässt, Werbung macht und das Umfeld drum herum daran arbeitet, so etwas auf die Beine zu stellen, ist so etwas häufiger möglich", betonte die Nationalspielerin nach der Partie gegen die Bayern.
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