Fehlende Differenziertheit in der Berichterstattung über den BVB: Warum nicht schwarz-gelb, statt schwarz-weiß?

Marco Reus: beim BVB entweder Held oder Sündenbock
Marco Reus: beim BVB entweder Held oder Sündenbock / DeFodi Images/Getty Images
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Der BVB ist einer, wenn nicht der polarisierendste deutsche Fußballverein in der öffentlichen Wahrnehmung. Der Berichterstattung über den amtierenden Vizemeister mangelt es in der Regel an Differenziertheit. In puncto BVB scheint die öffentliche Meinung nicht mehr schwarz und gelb, sondern schwarz und weiß zu sein.

Der BVB ist entweder top oder hopp, so salopp zumindest wird der Verein in der öffentlichen Wahrnehmung positioniert. Wenn es gut läuft in Dortmund, schreiben die Gazetten die Sterne vom Himmel und die Arbeit des Vizemeisters wird über den grünen Klee gelobt und von den Fans auf ein Podest gestellt. Wenn die Borussia stolpert, brennt hingegen der Busch, der Haussegen hängt schief und alles wird hinterfragt.

Nach dem gewonnen Revierderby ist die Welt in Dortmund absolut in Ordnung. Fünf Pflichtspielsiegen stehen in dieser Saison zwei Niederlagen entgegen; eine Quote, die ebenfalls in Ordnung ist. In der Bundesliga steht der BVB punktgleich mit dem FC Bayern auf Platz Drei, die Hürde MSV Duisburg wurde im DFB-Pokal souverän mit 5:0 genommen. In der Champions League hingegen verloren die Schwarz-Gelben ihr Auftaktspiel bei Lazio Rom mit 3:1 und erwischten einen ganz schlechten Tag. Dafür steht die Mannschaft, nein: der ganze Verein, nun bereits wieder am Pranger.

Dabei gehören solche Tage, solche Resultate im Fußball dazu; es gibt keine Mannschaft (aktuell ausgenommen: der FC Bayern), die absolut fehlerfrei und konstant auftritt. Konstruktive Kritik ist genauso Teil des Geschäfts, wie die Niederlagen, doch beim BVB reden wir nicht mehr über konstruktive Kritik, sondern über fehlende Differenziertheit. Die Öffentlichkeit malt Borussia Dortmund in Schwarz und Weiß - und überschreitet damit mittlerweile Grenzen.

Didi Hamann kanzelt Marco Reus ab: "Warum nimmt man ihm nicht die Kapitänsbinde ab?"

Didi Hamann, seit Jahren Teil der Berichterstattung von Sky, dem führenden Sender für deutschen Fußball, nahm sich nun eine Generalkritik an BVB-Kapitän Marco Reus heraus. Reus, der vor einigen Wochen von einer monatelangen Verletzung zurückkehrte, spielte gegen Lazio (wie der Rest der Mannschaft) weit unter seinen Möglichkeiten. Bilanzierte auch Hamann, der aber von einem Kapitän erwarte, die Mannschaft mitreißen zu können. Dass Reus dies gegen Lazio nicht gelang, reichte dem Sky-Experten, um ein vernichtendes Urteil zu sprechen.

Didi Hamann (r.) fordert, dass Marco Reus die Kapitänsbinde abgenommen werden sollte
Didi Hamann (r.) fordert, dass Marco Reus die Kapitänsbinde abgenommen werden sollte / Boris Streubel/Getty Images

"Ich habe nicht verstanden, warum man ihm im Sommer nicht die Kapitänsbinde abgenommen hat. Die andere Frage ist, ob ich ihm sie vor zwei Jahren gegeben hätte", schoss Hamann bei Sky 90 und führte aus: "Du hast mit Hummels einen brillanten Leader, der in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er Mannschaften führen kann. Dass er Führungs-Qualitäten hat, dass er das Wort ergreifen kann, dass er Leute mitreißen kann."

Dass ebenjener Hummels den BVB gen FC Bayern verließ, um Titel zu gewinnen, während Marco Reus dem BVB loyal blieb, wäre ein ebenso schwaches Argument für das Kapitänsamt, wie Hamanns Analyse fehlender Führungsqualitäten bei Marco Reus. Der Fußball findet im Jahr 2020, nicht 1995 statt - die Hierarchien sind abgeflacht und Kapitäne eher die Fortführung einer Tradition als wichtige Bestandteile einer Mannschaft. Es gibt Mannschaftsräte (beim BVB mitunter mit Mats Hummels besetzt). Was es nicht mehr gibt, sind Spieler, die keine Verantwortung übernehmen, sondern einfach gut kicken müssen. Anders ausgedrückt: die Mannschaft ist der Kapitän, zusammengesetzt aus Führungsspielern, aus Arbeitern, aus Künstlern - und wer die Kapitänsbinde am Arm trägt, ist nun wirklich zweitrangig.

Natürlich ist die Kapitänsfrage ein Diskurs, der überall geführt werden darf. Einen verdienten Spieler, der beim BVB bereits Legendenstatus genießt, eher grundlos vom gemütlichen Sky 90-Sessel aus so scharf anzugreifen und zu diskreditieren ist jedoch genau das schwarz-weiß-Gefasel, dass die astronomischen und verqueren Erwartungshaltungen, die an den BVB gerichtet werden, generiert. Und die ist - grob zusammengefasst - die Hoffnung der deutschen Fußballlandschaft, dass doch endlich jemand den FC Bayern herausfordern kann. In diese Rolle schlüpft Borussia Dortmund - dafür werden sie gefeiert; dafür bluten sie, wenn die Träume platzen.

Meunier und Favre stehen ebenfalls in der Kritik

Marco Reus war allerdings nicht der einzige Dortmunder, der am Dienstag in Rom sein Fett abbekam. Thomas Meunier, Neuzugang beim BVB, der sich aktuell in der Akklimatisierungs-Phase befindet, erwischte gegen Lazio einen rabenschwarzen Tag. Das weiß der erfahrene Belgier selber. Die Kritiken, die ob seiner Leistung durchs Netz geisterten, entbehrten jedoch jeglicher Vernunft. Es war ein verbaler Fäkalienguss, der sich über zwei Stunden lang unter dem Spiel-Hashtag auf Meunier ergoss. Bei aller angebrachten Kritik: das geht zu weit.

Lernen kann Meunier diesbezüglich allerdings von Cheftrainer Lucien Favre. Der spielt mit dem BVB zwar einen herausragenden Fußball, ist bei den Spielern angesehen und genießt das Vertrauen der Vereinsführung, wird allerdings quasi seit seinem Einstieg in Dortmund aus dem Job geschrieben. Weil er nunmal nicht so wortgewaltig wie Jürgen Klopp ist. Weil der BVB unter seiner Führung noch keinen Titel gewonnen hat (wie 90 Prozent der Bundesliga in diesem Zeitraum). Weil seine Interviews auf gebrochenem Deutsch sein Genie nicht wiedergeben, das ersichtlich wird, wenn man sich auch nur zwei Minuten mit dem Mann beschäftigt.

Lucien Favre wird beim BVB gerne kritisiert
Lucien Favre wird beim BVB gerne kritisiert / Pool/Getty Images

Aber es läuft ja. Immerhin hat der BVB das Revierderby verdient und klar gewonnen. Weil der Kader so hervorragend aufgestellt ist, dass Favre quasi nach Belieben rotieren kann. Weil die Mannschaft unter dem Schweizer wahnsinnig guten Fußball spielt. Weil die Spieler (Führungsspieler, wie auch Marco Reus), selbstkritisch sind und nach dem schwachen Lazio-Spiel eine Antwort liefern wollten. Weil der BVB auch ohne Silberware in den vergangenen drei Jahren richtig gut funktioniert.

Es sei denn, am Mittwoch gegen Zenit St. Petersburg wird nicht dreifach gepunktet. Ansonsten hängt der Haussegen in Dortmund wieder schief. Weil Thomas Meunier und Marco Reus und Lucien Favre und wie sie alle heißen, einfach nicht gut genug sind. Weil die Mannschaft ein Mentalitätsproblem hat. Weil der BVB in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr schwarz und gelb, sondern schwarz und weiß ist. Differenziertheit ist dehnbar - keine Frage. Doch sie hat Grenzen, die aktuell mit Blick auf den BVB weit überschritten werden.