Auch nach Messis Abgang bleibt Griezmann unsichtbar
Von Guido Müller
Der Weggang von Superstar Lionel Messi bedeutet beim FC Barcelona unweigerlich den Anbruch einer neuen Ära. Doch bereits nach drei Ligaspielen mehren sich rund um das Nou Camp Zweifel daran, dass diese schon im ersten Jahr erfolgreich gestaltet werden kann. Denn Antoine Griezmann, der das Vakuum, das la pulga hinterlassen hat, füllen sollte, scheint mit dieser Rolle überfordert zu sein.
Auf die bislang vorgetragenen Erklärungen, warum sich der Franzose auch nach zwei Jahren nicht annähernd einen seinem stolzen Preis (immerhin überwiesen die Katalanen seinerzeit 120 Millionen Euro nach Madrid) angemessenen sportlichen Status erspielen konnte (bestenfalls den eines Unverzichtbaren!), können sich die Verteidiger der Griezmann'schen Causa jedenfalls nicht mehr berufen.
Hauptsächlich bestanden diese nämlich darin, in Messi eine alle anderen überstrahlende Über-Person zu sehen. Einen Mammutbaum sozusagen, der den zarten Pflanzen um ihn herum das nötige Licht zur gedeihlichen Entwicklung nimmt.
Doch Messi ist nicht mehr da. Und statt neuen Lichts, das auf die Sprösslinge (wie Griezmann) fällt, scheint sein Abschied in Richtung Paris vielmehr eine Art Schwarzes Loch hinterlassen zu haben, das dabei ist, den gesamten einstigen Glanz des Weltmeisters zu verschlucken.
Griezmann immer noch wie ein Fremdkörper
Das den Beobachter überkommende Gefühl, dass der 30-Jährige bisweilen immer noch wie ein Fremdkörper im Gesamtgefüge der Azulgrana wirkt, wird auch durch harte statistische Daten unterstützt.
Beim Arbeitssieg gegen den FC Getafe am gestrigen Nachmittag lasen sich diese wie eine Bankrotterklärung eines Stürmers. Denn Angreifer werden auch im Jahr 1 n. M. immer noch an Toren bzw. an Beteiligungen an denselben gemessen.
Und da steht bei Griezmann nach nunmehr gespielten 264 Ligaminuten immer noch eine dicke, schwarze und hässliche Null. Selbst Annäherungen waren gegen die Madrider Vorstädter keine zu sehen. Stenogrammartig formuliert: Torschüsse: null, erfolgreich bestrittene Dribblings: null, hinterlassener positiver Eindruck: null.
Fans werden ungeduldiger
Und auch die Geduld der Fans scheint allmählich aufgebraucht zu sein. Den Pfiffen eines Teils der culés, denen sich der Franzose schon beim Liga-Auftakt gegen Real Sociedad ausgesetzt sah, folgten schon vor dem Spiel gegen die azulones, während einer Trainingssession am Freitag, verbale Unmutsäußerungen einiger Zaungäste.
"Wach auf, wach auf, wach auf, Griezmann. Du bist ein Clown", war da zu vernehmen. Doch die verbale Provokation blieb ohne Wirkung auf den Aufgeforderten - denn auch gegen Getafe blieb er im schläfrigen Modus. Kein Esprit, keine Spielfreude, kein sonst wie geartetes Zeichen innerer Befreiung - jetzt wo der übermächtige Schatten eines Messi nicht mehr auf ihn fällt.
Statt des Franzosen versucht es nun ein Holländer, derzeit sogar mit gewissem Erfolg, die vom Messi-Abgang traumatisieren Fans auf andere, glücklichere Gedanken zu bringen.
Von Memphis Depay war dies aber gar nicht erwartet worden. Doch der Fußball, in seinen vielen Nebengeschichten und Randnotizen, lebt vor allem von diesen Überraschungsmomenten. Von unwahrscheinlichen Helden und von gefallenen Heilsbringern.
Auch das ist nicht neu. Wie es auch nicht der Umstand ist, dass ein Trainer sich schützend vor seinen kritisierten Spieler stellt. So wie es Ronald Koeman nach dem 2:1 gegen Getafe getan hat.
Koeman stellt sich hinter Griezmann
Ohne dabei die für alle offensichtlichen Realitäten zu leugnen. Wenn er sagt: "Er hat nicht so glücklich agiert, wie wir es uns erhofft haben", macht der Holländer gar nicht erst den Versuch, schwarz für weiß zu verkaufen. Worum es ihm auch gar nicht geht. Sondern vielmehr um den notwendigen Schulterschluss zwischen Fans und Mannschaft.
Gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit des Neuanfangs, des Aufbruchs in eine neue, ungewisse Zukunft. "Als Trainer kann ich nicht verstehen, dass ein Spieler von den eigenen Fans ausgepfiffen wird. Man kann pfeifen, wenn die Einstellung nicht stimmt oder kein Einsatz vorhanden ist."
Dies sei bei seinem Schützling aber nicht der Fall gewesen. Griezmann habe, so sein Coach, "Probleme im Spiel gehabt". Doch sei es letztlich auch nur ein Spiel gewesen. Was natürlich stimmt - aber stillschweigend unter den Tisch fallen lässt, dass es eben nicht Griezmanns erster schwacher Auftritt in dieser Saison gewesen ist.
Dass der Transfermarkt nochmal für eine substanzielle Wandlung sorgen könnte, glaubt in Can Barça keiner mehr. Griezmanns Weigerung den Klub zu verlassen, addiert zu der Kostspieligkeit seiner Verpflichtung, machen es komplett unwahrscheinlich, dass der Franzose, einer der Top-Verdiener im Kader, seine Zelte in Barcelona abbricht.
Holt sich Griezmann neues Selbstvertrauen bei der Équipe Tricolore?
Also muss man seine Hoffnungen auf andere Faktoren legen. Wie zum Beispiel die nun anstehende Länderspielpause. Zeit für Griezmann, sich im Umfeld der französischen Nationalmannschaft im besten Fall ein wenig Selbstvertrauen zurückzuholen und mit neuer Energie nach Barcelona zurückzukehren.
Denn die ersten großen sportlichen Herausforderungen dieser Spielzeit werfen ihre Schatten voraus. Das erste Pflichtspiel nach dem Triple-Header der Nationalteams bestreiten die Katalanen am 14. September in der Champions League zuhause gegen den FC Bayern München.
Ein großes Spiel gegen einen großen Gegner. Letztmals trafen sich beide Klubs übrigens im August 2020 in Lissabon: beim schon jetzt legendären 8:2 der Bayern. Die Neuauflage dieses europäischen Gipfeltreffens wäre für Griezmann also der perfekte Zeitpunkt, seine immer lauter werdenden Kritiker endlich verstummen zu lassen.