Endlich K.o.-Spiele! Die Viertelfinals im Check - EM-Kolumne von Julia Simic
Von Julia Simic
Julia Simic hat für den FC Bayern, Turbine Potsdam, den VfL Wolfsburg und den SC Freiburg insgesamt 186 Bundesligaspiele bestritten. Die ehemalige deutsche Nationalspielerin war zwei Jahre lang für West Ham United in der FA Women's Soccer League sowie ein Jahr für AC Mailand in der Serie A aktiv. Gegenwärtig ist die 33-Jährige für den DFB als Co-Trainerin der U17-Juniorinnen tätig und arbeitet als TV-Expertin für DAZN, Sky und Magenta Sport.
Für 90min hat Simic ihre Gedanken zu den Viertelfinals der EM 2022 in England zusammengefasst:
"Raus aus dem Abseits" - der Frauenfußball-Podcast von 90min. In dieser Episode sprechen wir über die besten Spielerinnen der EM-Gruppenphase. Unbedingt reinhören!
England - Spanien
England und Spanien sind zwei Top-Mannschaften, die man beide mindestens im Halbfinale erwartet hätte. Uns erwartet ein hochinteressantes Spiel mit enormer Anziehungskraft. Ich glaube, dass sich beide Teams ein Duell auf Augenhöhe liefern werden.
England kommt mit großem Rückenwind aus einer Vorrunde, in der sie die Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen haben. Der Gastgeber wollte mit mitreißenden Leistungen eine ganze Nationen junger Fußballerinnen begeistern - das ist der Elf von Sarina Wiegman bisher eindrucksvoll gelungen.
England hat in den ersten drei Begegnungen sowohl offensiv als auch in der Defensive herausragende Leistungen gezeigt und scheint momentan die stabilste und ausgeglichenste Mannschaft des gesamten Turniers zu sein. Dazu kommt der Heimvorteil mit den nimmermüden englischen Anhängern, die gegen Spanien ein entscheidender Faktor werden können. Die Ibererinnen werden vermutlich der erste Gegner sein, gegen den Beth Mead und Co. weniger Ballbesitz haben werden. Ich bin gespannt, wie England diese Aufgabe löst.
Spanien hat in der Gruppenphase ein wenig enttäuscht. Das Team von Jorge Vilda galt vor dem Turnier als großer Favorit. Das hat sich aufgrund der fehlenden Durchschlagskraft im Angriff geändert. In Sachen Ballbesitz dominieren die Spanierinnen zwar jeden Gegner, an der Effizienz haperte es gegen Deutschland und Dänemark aber gewaltig.
Zwei Spielerinnen, auf die ich mich in dieser Partie besonders freue, sind Georgia Stanway und Aitana Bonmati. Stanway, die in der kommenden Saison im Trikot des FC Bayern auflaufen wird, spielt bislang ein tolles Turnier. Die 23-Jährige übernimmt - wie beim Strafstoß gegen Norwegen - Verantwortung und überzeugt durch ihr hohes Arbeitspensum und ihre Flexibilität im Mittelfeld. Aitana Bonmati erinnert an die Barca-Legenden Xavi oder Andreas Iniesta. Die kleine Rechtsfüßerin kann mit dem Ball quasi alles und ahnt Spielsituation meist schon frühzeitig voraus, sodass sie immer einen Schritt schneller ist als ihre Gegenspielerinnen. Kickerinnen wie Bonmati oder Stanway sind einer der Gründe, warum wir dieses Spiel so lieben.
Deutschland - Österreich
Im zweiten Viertelfinale ist Deutschland gegen Österreich klar favorisiert. Trotzdem sollte man die Österreicherinnen auf dem Zettel haben. Das Team von Irene Fuhrmann ist über Jahre zusammengewachsen und zeichnet sich durch eine unheimlich große Geschlossenheit aus. Mit vielen Stammspielerinnen aus der Bundesliga ist unser Nachbarland auch individuell gut besetzt und wird gegen Deutschland an seine Chance glauben. Die auf dem Papier überlegenen Norwegerinnen können ein Lied von der österreichischen Kompaktheit und Mentalität singen. Auch Gastgeber England haben die Österreicherinnen das Leben ganz schön schwer gemacht.
Dennoch glaube ich, dass Deutschland die Begegnung für sich entscheiden wird. Die DFB-Elf gehörte vor Turnierbeginn zum erweiterten Favoritenkreis, hat sich aber in der Gruppenphase zu einem meiner drei Top-Titelanwärter entwickelt - neben England und Frankreich. Deutschland hat defensiv wie offensiv absolut überzeugt und kann auf einen breiten Kader und eine tolle Teamchemie bauen. Bisher haben Marina Hegering und Co. jede Herausforderung gemeistert und bewiesen, dass sie ihren Matchplan immer wieder an die unterschiedlichen Gegner anpassen können. Apropos Marina Hegering. Dass die Münchnerin nach ihrer langen Verletzungspause so zurückkommt, ist bewundernswert. Hegering war in der Vorrunde der Fels in der Brandung und wird auch gegen Österreich ein entscheidende Rolle spielen.
Schweden - Belgien
Beim Spiel Schweden gegen Belgien werden sich die Skandinavierinnen mit ihrer indivuellen Qualität und Erfahrung durchsetzen. Der Tabellenerste aus Gruppe C zeigt sich bis dato defensiv stabil und lebt vorne von der Qualität seiner Einzelspielerinnen, wobei die Aufgaben - gerade, was das Toreschießen angeht - im schwedischen Team auf viele Schultern verteilt sind. Nach dem 5:0-Erfolg im dritten Gruppenspiel gegen Portugal ist der Knoten hoffentlich geplatzt. Die beiden ersten Vorrundenbegegnungen hatten noch etwas zäh gewirkt.
Überraschungs-Viertelfinalist Belgien kann den Schwedinnen das Leben aber ganz schön schwer machen. Das hat bereits Frankreich zu spüren bekommen. Die Red Flames sind nicht nur ein unangenehm zu bespielendes Kollektiv, sondern besitzen mit Tessa Wullaert oder Janice Cayman auch tolle Individualistinnen.
Frankreich - Niederlande
Das letzte Viertelfinale wird aufregend. Einerseits glaube ich, dass Frankreich leicht die Nase vorne haben wird. Andererseits kommen den Niederländerinnen Mannschaften gelegen, die das Spiel machen wollen und hinten vielleicht hin und wieder zu viele Räume lassen. Genau das könnte den Französinnen passieren, die zwar durch ein herausragendes Offensivspiel beeindrucken, insbesondere in den Umschaltmomenten aber etwas zu nachlässig sind. Diese fehlende Stabilität ist auch der Grund, warum ich England und Deutschland als die beiden großen Turnierfavoriten und Frankreich leicht dahinter sehe.
Die Spielanlage der Niederlande hat mich hingegen noch nicht überzeugt. Die Mannschaft lebt vor allem von ihrer individuellen Klasse. Danielle van de Donk, Jill Roord oder Lineth Beerensteyn können sicher auch den Französinnen Probleme bereiten. Ob es aber zum Einzug ins Halbfinale reicht, bezweifle ich.
Aus dem Offensivarsenal der Equipe Tricolore möchte ich unbedingt Delphine Cascarino hervorheben. Frankreich hat gerade auf den Außen unheimlich hohe Qualität, die Akteurin von Olympique Lyon ist allerdings noch einmal eine Klasse für sich. Mit ihrer Dynamik und Agilität gehört Cascarino für mich seit Jahren zu den besten Spielerinnen der Welt.
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