Der große Fight um Wembley: Alles zum EM-Halbfinale England gegen Schweden
Von Alina Ruprecht
Ganz England blickt am Dienstag gespannt, aber auch nervös nach Sheffield. Im Bramall Lane Stadion kommt es zum bisher größten Showdown der EM 2022 (ab 21 Uhr, ARD/DAZN). Die Gastgeberinnen treffen im Halbfinale auf Schweden. Zuletzt schienen die Gegnerinnen der Lionesses noch nicht richtig in Turnierform zu sein.
Raus aus dem Abseits, der Frauenfußball-Podcast von 90min. Im EM-Spezial blicken wir auf die zehn besten Momente der Viertelfinal-Duelle zurück. Und tippen die beiden Halbfinals. Unbedingt reinhören!
Entsprechend groß ist das Selbstbewusstsein und der Glaube an einen Sieg bei den englischen Fans. Trotz ihrer bisherigen Leistungen sind die Schwedinnen jedoch keinesfalls die Underdogs im Kampf um das erste Ticket für das Finale im Wembley Stadion.
"Das Finale zu erreichen, das ist wovon wir alle träumen", sagte die schwedische Nationalspielerin Magdalena Eriksson bei der Abschlusspressekonferenz am Montag. "Morgen zu gewinnen wäre so cool, aber ich denke, es wäre so egal gegen wen wir spielen würden." Im schwedischen Lager scheint die Lage entspannter zu sein, als zuletzt. Stammspielerin Hanna Glas ist von Covid-19 genesen, Team-Kapitänin Caroline Seger trainierte nach einer Verletzung wieder mit dem Team.
Das Team von Cheftrainer Peter Gerhardsson geht keinem unbekannten Szenario entgegen. Bei vergangenen Turnieren kam die Mannschaft stets weit in den K.o.-Phasen, jedoch fehlt ihnen bis jetzt ein großer Titel. Das letzte und einzige Mal gewann Schweden die EM im Jahr 1984. In den letzten Jahren scheiterten die Spielerinnen kurz vor dem Finale oder im Endspiel selbst. Nach dem verlorenen Olympia-Gold in Tokyo 2021 war es Kosovare Asllani die aussprach, was alle anderen im Team dachten: "Wir sind es leid, immer nur Silber und Bronze zu gewinnen."
Heimvorteil für Lionesses in der "Bubble"
Der Traum vom ersten Platz soll nun am 31. Juli im ehrwürdigen Wembley Stadion wahr werden. Doch zunächst muss Schweden gegen England ran, die in Sheffield vom Heimvorteil profitieren werden. Das Spiel ist ausverkauft und den mehr als 15.000 englischen Fans stehen etwa 1.200 schwedische AnhängerInnen gegenüber.
Der Druck und die Erwartungen an die Lionesses sind groß und werden zusätzlich von der britischen Presse angefacht. "Wir bleiben in unserer kleinen Bubble, in der wir während des gesamten Turniers waren", erklärte Innenverteidigerin Millie Bright im Vorfeld des großen Spiels. "Jeder sagt, dass der Druck bei uns liegt, aber nichts dringt in unsere Bubble. Wir bleiben fokussiert."
Viele Spielerinnen des englischen Teams werden sich noch an das letzte Aufeinandertreffen mit den Schwedinnen erinnern. Beim Spiel um Platz drei bei der Weltmeisterschaft 2019 setzte es eine herbe 2:1-Niederlage für die Lionesses. Seitdem hat sich das Team jedoch weiterentwickelt, vor allem unter der neuen Trainerin Sarina Wiegmann. Seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2021 hat England noch kein Spiel verloren. Auch die Gruppenphase der aktuellen EM durchliefen sie scheinbar mühelos. Der Gruppensieg wurde mit 14:0 Toren veredelt.
Schweden bislang nicht überzeugend
Dagegen hatte Schweden in den bisherigen Spielen mehr zu kämpfen. Die Mannschaft ist sehr offensiv ausgerichtet, liebt es mit ihrer Schnelligkeit in die Räume der gegnerischen Formation zu laufen und Chancen im letzten Drittel zu kreieren. Bisher spielte Schweden jedoch fast ausschließlich gegen tief stehende Teams, die sich aufs Verteidigen konzentrierten und die Dynamik aus dem Spiel nahmen. Nach dem knappen 1:0-Sieg gegen Belgien im Viertelfinale sehen sich viele englische Fans und ExpertInnen darin bestätigt, Schweden die Rolle des Underdog zuzuweisen.
"Ich denke überhaupt nicht daran [wer Favorit ist]", betonte Trainer Peter Gerhardsson. "Ich denke an Möglichkeiten. Das ist meine Sichtweise auf alles. Wenn man eine Möglichkeit hat, dann hat man das Gefühl im eigenen Körper, dass man es schaffen kann." Er ist, wie auch die schwedischen Spielerinnen der Meinung, dass das Halbfinale eine ganz andere Partie wird, als die bisherigen Begegnungen.
Treffen zwei offensiv aufspielende Teams wie England und Schweden aufeinander, so ist direkt für Dynamik und Unterhaltung gesorgt. Das skandinavische Team ist für sein hohes Pressing bekannt. Spanien verfolgte im Viertelfinale gegen die Lionesses eine ähnliche Taktik und stellte die Engländerinnen damit vor große Probleme. Spaniens Außenverteidigerinnen gelang es äußerst effektiv, die gefährlichen Flügelspielerinnen Beth Mead und Lauren Hemp zu neutralisieren. England brauchte ganze 80 Minuten, bis ihnen dank Joker Ella Toone das erste Tor gelang.
Rachel Daly: Englands Schwachpunkt hinten links?
Zu kämpfen hatte besonders Linksverteidigerin Rachel Daly, die eigentlich eine Offensivspielerin ist. Sie unterlag den Spanierinnen in den direkten Duellen und konnte nicht mit der Schnelligkeit der Gegnerinnen mithalten.
Jedoch ist Englands starke Offensivabteilung keinesfalls zu unterschlagen. Mit fünf Toren, darunter ein Dreierpack gegen Norwegen, führt Beth Mead aktuell im Rennen um den Golden Boot der EM. Auch Einwechselspielerin Alexia Russo findet sich mit zwei Toren unter den Anwärterinnen. Mead hat sich in nur kurzer Zeit zu Englands Schlüsselspielerin im Sturm entwickelt. Neben Toren sorgte sie auch für einige Assists und kreierte zahlreiche Chancen für ihre Mitspielerinnen.
Im Mittelfeld der Engländerinnen ist dagegen die eher stillere Heldin der Mannschaft zu finden: Keira Walsh. Sie ist die heimliche Spielgestalterin der Lionesses und diktiert von ihrer Position aus das Tempo. Walsh ist von zentraler Bedeutung für das englische Passspiel, verteilt die Bälle, startet die Vorstöße ins letzte Drittel und sorgt für Stabilität vor der Abwehrreihe. Auch sollte Schweden mehr als ein wachsames Auge auf Georgia Stanway richten. Die Neuverpflichtung des FC Bayern erwies sich bisher als äußerst kaltschnäuzig und sicherte England mit einem beeindruckenden Distanzschuss ins spanische Netz das Halbfinal-Ticket.
Anders als Schweden kann England auf einen vollständigen Kader zugreifen. Trainerin Sarina Wiegmann setzt bei der EM auf Konstanz, was ihre Stammspielerinnen betrifft.
Die voraussichtlichen Aufstellungen
England: voraussichtliche Aufstellung (4-2-3-1)
Earps - Bronze, Bright, Williamson, Daly - Walsh, Stanway - Mead, Kirby, Hemp - White
Schwedens Kader steht dem englischen in Sachen Qualität in nichts nach. Das Team ist eines der schnellsten in Europa und strahlt eine besonders große Torgefahr nach Standards und Konterangriffen aus. Viele der Spielerinnen kennen sich seit langem und sind entsprechend routiniert. Das trifft besonders auf die Abwehrkette zu.
Eine zentrale Personalie dort ist jedoch fraglich, da Rechtsverteidigerin Hanna Glas erst vor kurzem die Corona-Isolation verlassen konnte. Zwar ist sie laut Peter Gerhardsson wieder spielfähig, jedoch ist ein Start bzw. ein Einsatz über die vollen 90 Minuten fraglich. Glas‘ Fehlen stellte Schweden bereits gegen Belgien vor einige Probleme. Sie sorgt trotz ihrer defensiven Rolle für offensive Gefahr auf der rechten Außenbahn, auf der sie regelmäßig die Laufduelle gegen die jeweiligen Gegnerinnen gewinnt. Auch sind Glas‘ Hereingaben in den Strafraum oder ihre Pässe zu den zentralen Mittelfeldspielerinnen von elementarer Bedeutung für die schwedischen Angriffe.
Mit Jonna Andersson infizierte sich jüngst Glas‘ Pendant auf der linken Außenbahn mit Covid-19. Über ihren aktuellen Gesundheitszustand ließ Peter Gerhardsson nichts verlautbaren. Auf die linke Außenverteidigerposition könnte in Anderssons möglicher Abwesenheit Fridolina Rolfö rücken. Diese ist zwar gelernte Offensiv-Spielerin, wird beim FC Barcelona jedoch regelmäßig in der Abwehrkette eingesetzt. Schon im Spiel gegen Belgien setzte Rolfö defensive Akzente, die ihr Team zwar im Spiel hielten, jedoch eine geringere Anzahl an offensiven Aktionen nach sich zog. Dies wurde von vielen kritisiert, da Rolfö vorne auf der linken Außenbahn das Potenzial hat, eine der torgefährlichsten Spielerinnen der EM zu sein.
Die bisher überzeugendste Spielerin im schwedischen Team ist ohne jeden Zweifel Kosovare Asllani. In jeder Partie zeigte die 32-jährige bisher unermüdlichen Einsatz über die vollen 90 Minuten hinweg. Auf der Zehner-Position übernahm sie in der Abwesenheit von Caroline Seger die Kapitänsbinde. Asllani ist zudem die Standard-Spezialistin und sichere Elfmeterschützin ihres Teams. Sie findet und öffnet die Räume, die für Schwedens Angriffsspiel vor dem Strafraum so wichtig sind.
Schweden: voraussichtliche Aufstellung (3-5-2):
Lindahl - Ilestedt, Björn, Eriksson - Glas, Rytting-Kaneryd, Angeldahl, Asllani, Rolfö - Hurtig, Blackstenius
Für Schweden ist gnadenlose Effizienz vor dem Tor das oberste Gebot in Sheffield. Diese ließen sie in den bisherigen Spielen eher vermissen. Zudem ist die eingespielte Defensive gefordert Englands gefährliche Flügelspielerinnen aus dem Spiel zu nehmen.
England dagegen muss mit dem Druck von außen umgehen, aber auch jenem des schwedischen Pressings. Wichtig wird es für die Lionesses auch sein, den explosiven Gegenstößen der Schwedinnen den Riegel vorzuschieben und Standards sauber zu klären.
Alles in allem können sich die Fans beider Seiten auf das möglicherweise spannendste Spiel der bisherigen EM freuen. Ein Torfestival wird es jedoch eher nicht werden, es sei denn, die Mannschaften werfen alles in die Offensive, um ihren Traum von Wembley zu verwirklichen.
Prognose: 1:0-Sieg für Schweden
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