Warum die Dreierkette gegen Frankreich nicht funktionierte - und wie es besser geht

Jogi Löw.
Jogi Löw. / Matthias Hangst/Getty Images
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Viele Fans und Experten fordern nach der Auftaktniederlage Deutschlands gegen Frankreich bei der EM die Abschaffung der Dreierkette und eine Rückkehr zur altbewährten Formation. Bislang ist die Diskussion aber vor allem polemisch. Ein Blick auf die Vorzüge der Dreierkette und warum sie gegen Frankreich nicht funktionierte.


Die Systemdebatte bei der deutschen Nationalmannschaft hat nach der 0:1-Niederlage gegen Frankreich wieder Fahrt aufgenommen. Schon vor dem Spiel hatten sich nicht wenige gewünscht, dass Bundestrainer Jogi Löw die Dreierkette einstampfen und wieder zum 4-2-3-1-System zurückkehren würde. Dazu gehörte unter anderem auch ZDF-Experte Christoph Kramer, der sagte, die deutsche Mannschaft sei zu gut, um mit einer Dreierkette zu spielen.

Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Denn diese Dreierkette wird im Defensivverhalten zur Fünferkette und hat deshalb den Ruf, eine sehr defensive Formation zu sein. Hat Deutschland es nötig, sich hinten mit fünf Verteidigern einzuigeln?

"Unsere Stärke ist die Offensive, so würde ich das zumindest interpretieren. Wir haben unheimlich viele kreative und schnelle Spieler in unserer Mannschaft. Dieser Stärken sollten wir uns dann auch bedienen", meinte etwa Michael Ballack bei MagentaTV, Lothar Matthäus sagte bei Sky: "Wir müssen offensiver spielen - und vielleicht das System wechseln."

Die Dreierkette ist nicht so defensiv wie ihr Ruf

Aber ist die Dreierkette denn tatsächlich so defensiv wie ihr Ruf? Keineswegs, das wird mit einem Blick auf die Stärken der Formation schnell klar. Bei eigenem Ballbesitz ergibt sich die Situation, dass sich die beide Flügelspieler in die Offensive begeben. Es befinden sich dann also sieben Spieler mehr oder weniger im Angriffsmodus. Dazu kommt gerne sogar noch einer der beiden Abwehrspieler im Halbraum, also Antonio Rüdiger oder Matthias Ginter, die sich ebenfalls nach vorne einschalten können und je nach Situation auch sollen.

Der Grundgedanke des Spielaufbaus mit einer Dreierkette liegt darin, dass die drei Verteidiger diesen initiieren und sich eben kein Mittelfeldspieler extra zurückfallen lassen muss. Dazu braucht es natürlich Spieler, die den Aufbau beherrschen. Mats Hummels ist dort über jeden Zweifel erhaben, aber auch Rüdiger und Ginter sind hier sicherlich passende Akteure.

Die drei Verteidiger bauen das Spiel auf, indem sie den Ball entweder auf die Außen geben oder aber an die beiden zentralen Mittelfeldspieler vor sich, die "als Anspielstation dienen oder als Wandspieler für einen aufrückenden Mitspieler aus der Defensive fungieren", wie es die DFB-Akademie schön beschreibt. Nur eines darf dabei natürlich nicht passieren: Dass die Mittelfeldspieler zu tief stehen.

Genau hier lag nämlich das große Problem der DFB-Elf gegen Frankreich. Der Spielaufbau hakte, weil Toni Kroos und Ilkay Gündogan sich die Bälle zu weit hinten abholten, wie auch Taktik-Experte Tobias Escher im 11-Freunde-Podcast "Nur Stellen!" erklärte. Die beiden hätten damit die Passwege der Verteidiger im Aufbau blockiert und es sei ein zu großes Loch zu den Angreifern entstanden. "Wenn die Stürmer in der Luft hängen, dann liegt es auch ein bisschen an den anderen Spielern", meinte Escher. Heißt: Es kamen vorne einfach keine Bälle an.

Das ist aber keine Frage der Formation, sondern der Umsetzung. "Wir hatten genug Offensivkräfte auf dem Platz, aber wir müssen bei Laufwegen, Nachrücken und Abstimmung vorne noch besser werden", verteidigte Löw sein 3-5-2 bzw. 3-4-3 deshalb auch nach der Niederlage. Gemeint sind damit Kroos und Gündogan, aber sicher auch ein bisschen Joshua Kimmich, der auf der rechten Seite recht wenig Einfluss auf das Spiel nehmen konnte und längst nicht so offensiv gefährlich wurde wie Robin Gosens auf dem anderen Flügel.

Im Zentrum muss eine Lösung her

Was uns zur nächsten Debatte bringt: Muss Joshua Kimmich ins Zentrum? "Kimmich ist enorm intelligent, was das Besetzen von Räumen angeht", erklärte Escher. Vielleicht hätte der 26-Jährige im Mittelfeld also für mehr Bindung zur Offensive gesorgt, vielleicht darf er das gegen Portugal. Escher ist aber skeptisch: "Mein Bauchgefühl ist, dass Löw es nicht machen wird, aber dass er es machen sollte."

Ein anderer Spieler, der hier aushelfen könnte, ist Leon Goretzka. Ein klassischer Box-to-Box-Spieler, der eine bessere Balance zwischen Offensive und Defensive herstellen kann. Das Frankreich-Spiel kam zu früh, gegen Portugal am Samstag dürfte er dabei sein. Falls nicht, wäre auch Florian Neuhaus eine Option.

So oder so sollte man erneut eine Dreierkette erwarten. Denn anders, als viele meinen, ist dieses System nicht durchweg auf Defensive getrimmt und darauf, hinten möglichst sicher zu stehen - auch, wenn das natürlich ein weiterer Vorzug ist. Die DFB-Elf muss es allerdings besser umsetzen. Hier ist natürlich die Frage erlaubt, ob sie es kann, da kaum ein Spieler im Verein in einer Dreierkette agiert. Die polemische Forderung nach einer anderen Formation, die dann sofort mehr Offensive bringt, ist dagegen Unsinn.