Einzigartige Zwillinge: Eine Ode an Lars und Sven Bender

Seit Jahren in der Bundesliga: Lars (re.) und Sven Bender
Seit Jahren in der Bundesliga: Lars (re.) und Sven Bender / Alex Grimm/Getty Images
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Manchmal wünscht man sich, Karrieren würden ewig verlaufen. Entweder, weil sie zu schön sind, um einen Schlussstrich zu ziehen, oder weil sie unvollständig und noch nicht fertig scheinen. Auf die Bender-Zwillinge, die am Montag ihr gemeinsames Karriereende für den Sommer 2021 bekanntgaben, trifft beides zu.

Lars und Sven Bender sind Charaktere der Liga, die man irgendwie nicht nicht mögen kann. Die beiden Routiniers sind seit Jahren Gesichter der Bundesliga und Symbole für Mentalität, Identifikation und Bodenständigkeit. Aber auch für Verletzungspech. Ihre eigentliche Bilderbuchkarriere entwickelte sich mit der Zeit mehr zu einer Art Tragödie.

Blühender Karriereanfang und bittere Realität: Der Körper funkt dazwischen

Ich erinnere mich noch genau an die Anfangszeit der Benders, als Leverkusener insbesondere an die von Lars. Etwa an seinen Siegtreffer beim 2:1-Erfolg gegen St. Pauli im April 2011. Oder an seinen weiteren Siegtreffer zum 2:1, diesmal im Nationaltrikot im EM-Duell gegen Dänemark 2012. Da war Bender erst 23 Jahre alt. Ein Toptalent, das damals vor allem vom FC Arsenal eifrig umworben wurde. Ihr ahnt ja gar nicht, wie sehr die Hütte beim Public Viewing in Leverkusen brannte, als Bayers Goldjunge diesen Treffer schoss. Mann, waren wir stolz auf Lars!

Good old times: Lars Bender schießt die DFB-Auswahl gegen Dänemark zum Sieg
Good old times: Lars Bender schießt die DFB-Auswahl gegen Dänemark zum Sieg / Martin Rose/Getty Images

Sein Bruder Sven wurde etwa zeitgleich mit dem BVB zweimal Meister, zudem Pokalsieger und stand 2013 sogar im Finale der Champions League. Titeltechnisch hat Sven eindeutig die Nase vorn, für seinen Bruder Lars reichte es in Leverkusen bislang nie zum großen Coup. Besonders bitter war sein kurzfristiger Ausfall vor der WM 2014 in Brasilien, wo sich die DFB-Elf zum Weltmeister kürte. Bender fiel zuvor kurzfristig aus. Lars' Karriere "in a nutshell".

Doch zurück nach Leverkusen: Im Sommer 2017 sah man am Rhein plötzlich doppelt, als die Werkself etwas überraschend Sven aus Dortmund zum Verein lotste. Von nun an gab es keine einfachen Bender-Trikots mehr, man musste zwischen L. und S. Bender wählen. Es war sportlich wie auch menschlich ein Gewinn für die Rheinländer.

Denn bereits 2015 wurde Lars nach dem Karriereende von Simon Rolfes Kapitän in Leverkusen. In der internen Hierarchie stand ein Bender also bereits ganz oben, sein Bruder Sven stand ihm nach seiner Ankunft aber in nichts nach. Nahezu fließend akklimatisierte sich der Neuzugang im Leverkusener Team. Nun, etwas über drei Jahre später, wirkt es irgendwie, als ob die beiden schon ewig gemeinsam spielen würden

Lars und Sven auf dem Platz - das ist etwas, was man nicht missen möchte. Es gibt nur wenige Spieler, welche auf dem Platz so sehr an ihre Leistungsgrenze gehen wie die Benders. Während Lars sich in Leverkusen zuerst als zentraler Mittelfeldspieler, später als Rechtsverteidiger den Ruf als Arbeitstier erwarb, wurde Sven bereits in Dortmund zur Legende, als er sich als 'Manni' quasi unzerstörbar in jeden Ball und Gegner warf.

Doch jeder Einsatz fordert auch seinen Tribut. Mehr und mehr kristallisierte sich bei den Brüdern heraus, dass ihre Körper nicht für das hohe Pensum des modernen Fußballs ausgelegt sind. Vor allem Lars verletzte sich im Laufe seiner Karriere mehrfach schwer, lange Ausfälle waren irgendwann traurige Realität.

Selbst nach solchen Phasen wusste der Leverkusener Führungsspieler aber wieder zu glänzen. Zur aktuellen Saison gab Lars aus eigenem Antrieb sein Amt als erster Kapitän der Werkself auf. Grund: Ein Kapitän habe auf dem Platz zu stehen. Das, so Bender damals, könne er inzwischen nicht mehr dauerhaft garantieren. Dass es nun allerdings Lars ist, der häufiger als Neu-Kapitän Charles Aranguiz auf dem Platz steht, ist eine weitere Ironie des Fußballs.

Diese damalige Entscheidung der Vereinslegende signalisierte seinen nüchternen, realistischen Blick auf die Welt. Um zu träumen, so könnte man meinen, haben Lars und wohl auch Sven zu viel gesehen und erlebt. Das spiegelt sich nun auch in ihrer Entscheidung, die Schuhe im kommenden Sommer an den Nagel zu hängen, wider.

"Letztlich war es keine Entscheidung gegen den Verein, sondern für die Gesundheit und die Familie. Wir haben erkannt, dass es schwierig wird, über den Sommer hinaus auf diesem hohen Niveau Fußball zu spielen. Jeder, der uns kennt, weiß, dass wir jeden Tag 100 Prozent geben. Dass das für uns im Training und im Spiel immer die Grundvoraussetzung war. Es fällt uns leider zunehmend schwerer, dies mit all den Schmerzen und körperlichen Problemen, unter denen wir mehr und mehr zu leiden haben, kontinuierlich abzurufen", werden die Zwillinge in ihrer Stellungnahme vom Verein zitiert.

Es muss furchtbar sein, zu merken, dass selbst 100 Prozent irgendwann zu wenig sind.

Wer die Zwillinge verstehen möchte, braucht Respekt und Ehrfurcht

Doch bei aller Tragik: Die Karrieren der Bender-Zwillinge haben auch eine romantisierende Ader. Wie cool ist es bitte, dass zwei Zwillingsbrüder über Jahre hinweg auf Topniveau Fußball spielen, erst gemeinsam in einer Liga, später sogar gemeinsam in einem Verein. Mehrere Jahre lang neben der Person spielen zu dürfen, mit der man aufgewachsen ist.

Legenden gehen nie!
Legenden gehen nie! / TF-Images/Getty Images

Dass sich nun Lars und Sven entschieden haben, gemeinsam ihre Karrieren zu beenden, zeugt auch vom tiefen Respekt und dem Zusammenhalt zwischen den Brüdern. Dass Lars im Sommer 2021 seine Karriere beendet, überrascht in Anbetracht seiner Verletzungshistorie weniger. Sven wiederum hätte man ein, zwei Saisons mehr zugetraut. Doch anscheinend will der eine nicht ohne den anderen. Und auch aus Leverkusener Sicht beeindruckt dieses gegenseitige Verständnis mehr, als dass man durch ihre Entscheidung enttäuscht sein könnte.

Lars und Sven Bender, es sind zwei unvollständige Erfolgsgeschichten (allerdings haben wir ja noch ein halbes Jahr vor uns...). Und auch wenn es die Benders zweimal gibt, sind sie doch irgendwie einzigartig. Man kann nur hoffen, dass sie ihrem aktuellen Verein auch über ihre Karrieren hinaus erhalten bleiben. Spieler kommen und gehen, Legenden bleiben aber bestehen. Und das sind die Bender-Zwillinge definitiv.

Unter dem Strich bleibt ihrer Entscheidung nur Respekt zu zollen, auch wenn sie schmerzt. Aber am Ende bleibt dann doch der Dank für die Dinge, die es im heutigen Fußball immer weniger gibt. Für ihre aufrichtigen, erwachsenen Tugenden. Für ihre Reife und Re­flek­tiert­heit. Für ihren Einsatz und Kampf in jeden Spiel. Für ihre Identifikation. Und auch für ihre ganz wichtigen Tore.

Es sind diese Charakterzüge, die aus talentierten Spielern Legenden bilden. Und dafür braucht es im Zweifel auch keine Titel.