Eine Demonstration der eigenen Stärke: Jerome Boateng hat's allen gezeigt

Vom Bankdrücker zum Triple-Helden: Die bemerkenswerte Entwicklung von Jerome Boateng
Vom Bankdrücker zum Triple-Helden: Die bemerkenswerte Entwicklung von Jerome Boateng / Pool/Getty Images
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Die Saison 2019/20 war für den FC Bayern in vielerlei Hinsicht eine denkwürdige. Neben dem unerwarteten Triple schrieben Thomas Müller und Jerome Boateng Geschichte: Zwei Spieler, die eigentlich schon abgeschrieben waren, hatten in der Rückrunde einen riesigen Anteil am Erfolg. Besonders Boateng war diese Wiederauferstehung in München nicht mehr zuzutrauen, doch der Weltmeister von 2014 hat es allen gezeigt.

Es war der 18. Mai 2019: Der FC Bayern wird am 34. Spieltag dank eines 5:1-Sieges über Eintracht Frankfurt zum siebten Mal in Folge Deutscher Meister, obwohl Borussia Dortmund zur Winterpause noch sechs Punkte Vorsprung hatte. Die Spieler feiern die Schale und den gebührenden Abschied von Franck Ribéry, Arjen Robben und Rafinha, nur einer nimmt nicht an der Feier teil: Jerome Boateng. Der Innenverteidiger nimmt auf der Ersatzbank Platz, fährt später noch zu einer Hochzeit.

Bank-Frust statt Partylaune: Jerome Boateng im Pokalfinale 2019
Bank-Frust statt Partylaune: Jerome Boateng im Pokalfinale 2019 / TF-Images/Getty Images

Auch den 3:0-Sieg im DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig feiert Boateng nicht mit. Präsident Uli Hoeneß bezeichnet ihn daraufhin als "Fremdkörper" und rät ihm öffentlich dazu, sich einen neuen Verein zu suchen. Doch Boateng bleibt - wie schon im Vorjahr, als Kovac ihm einen Wechsel zu Paris St. Germain verwehrt und eigenen Aussagen zufolge zum Abwehrchef erklärt hatte. Stattdessen wird Mats Hummels an Borussia Dortmund verkauft.

Hinter Niklas Süle und Lucas Hernandez ist Boateng aber auch in der neuen Saison nur die Nummer drei. Erst beim 1:1 gegen RB Leipzig am vierten Spieltag darf der 31-Jährige erstmals ran, weil David Alaba verletzt ausfällt und Hernandez als Linksverteidiger aushelfen muss. Nach dem Kreuzbandriss von Niklas Süle im Oktober rückt Boateng stärker in den Fokus, fliegt bei der 1:5-Pleite gegen Eintracht Frankfurt jedoch nach nur zehn Minuten vom Platz. Die höchste Niederlage der vergangenen zehn Jahre war gleichzeitig aber der Beginn der Trendwende: einen Tag später trennten sich die Münchner von Kovac und der im Sommer als Co-Trainer dazugestoßene Hansi Flick stieg zum Chef auf.

Wiederauferstehung unter Flick

Anders als Kovac teilt Flick jedem Spieler mit, woran er ist und wie hoch die Chancen auf regelmäßige Einsätze sind. Jeder fängt wieder bei Null an und wird so behandelt wie alle anderen auch. Nach der abgesessenen Rotsperre verfolgt Boateng die 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen von der Bank aus, eine Woche später ist er im Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach (1:2) wieder dabei. Bis zur Winterpause darf er gegen Werder Bremen (6:1) und den VfL Wolfsburg (2:0) für jeweils 45 Minuten aushelfen, Tempo-Defizite lassen die Transfergerüchte aber nicht abklingen. Wieder wird Boateng mit einem Abschied in Verbindung gebracht, konkret werden etwaige Medienberichte aber nicht.

""Mir war klar, dass ich unter Hansi Flick eine faire Chance bekommen werde""

Jerome Boateng

Stattdessen kämpft sich der frühere Abwehrchef im Trainingslager in Katar wieder an die Mannschaft heran, wirkt deutlich fitter und spritziger als zuvor. Ausschlaggebend für diesen Wandel war ein Gespräch mit Flick vor der Winterpause: "Mir war klar, dass ich unter Hansi Flick eine faire Chance bekommen werde, wenn ich zeige, dass ich fit bin und meinen Rhythmus wiederfinde", erinnert sich Boateng im Interview mit Bild am Sonntag, "mehr wollte ich nie." Ein klarer Fingerzeig in Richtung Kovac, den er schon im Mai 2019 für seine strikte Ausbootung kritisiert hatte.

Hohe Ansprüche, klare Worte: Hansi Flick (Foto) hat Jerome Boateng einen Weg aufgezeigt
Hohe Ansprüche, klare Worte: Hansi Flick (Foto) hat Jerome Boateng einen Weg aufgezeigt / Shaun Botterill/Getty Images

Flick habe ihm sein Vertrauen ausgesprochen, sagt Boateng, "er hat mich unterstützt, aber auch gefordert. Von diesem Moment an spürte ich, dass die Chance da ist." Mit breiter Brust geht er in die Rückrunde, steht in wettbewerbsübergreifend 21 von 24 Pflichtspielen auf dem Platz. Gemeinsam mit David Alaba stabilisiert er die Defensive des deutschen Rekordmeisters, die in der zweiten Saisonhälfte nur 19 Gegentore kassiert.

Längst ist Hernandez wieder fit, doch der Weltmeister findet keinen Weg in die Startelf. Auch Niklas Süle, der pünktlich zur Champions League wieder zurückkehrt, muss zusehen, wie Boateng in alter Stärke aufblüht. Er antizipiert und bereinigt viele Situationen dank seiner Erfahrung, er zieht mit Alaba das Spiel von hinten auf und überzeugt mit seinen hohen Bällen, die das Mittelfeld des Gegners überspielen.

Boateng ist wieder unverzichtbar, und die Bayern bangen vor dem Champions-League-Finale gegen Paris St. Germain um ihn. Im Halbfinale gegen Olympique Lyon (3:0) verletzte er sich bei einer Rettungsaktion im Strafraum und musste nach dem Halbzeitpfiff in der Kabine bleiben. "Die Ärzte und Physios waren rund um die Uhr im Einsatz, damit ich im Finale dabei sein konnte. Ich wollte der Mannschaft in diesem Endspiel unbedingt helfen", so Boateng, der es nicht bereut, im Endspiel nur 25 Minuten auf dem Platz gestanden zu haben: "In unserer Startformation in der Defensive aufzulaufen, gab uns definitiv Sicherheit. Auch wenn es für mich persönlich schade war, dass ich dann rausmusste, gab es uns zunächst Stabilität."

Abschiedsgedanken passé: "Gehe den Weg unter Hansi Flick gerne weiter"

Wie im Halbfinale wurde Süle eingewechselt, anders als gegen Lyon wirkte der deutsche Nationalspieler deutlich stabiler. Zur neuen Saison werden er und Hernandez mit Boateng konkurrieren. Abschiedsgedanken hegt der Weltmeister von 2014 schon lange nicht mehr: "Für mich ist klar, dass ich gerne den Weg unter Hansi Flick weitergehen werde. Meine Familie und ich fühlen uns in München sehr wohl. Ich bin sicher, dass wir auch im nächsten Jahr mit dieser Mannschaft viel erreichen können. Da will ich wieder ein Teil davon sein."

Bis 2021 steht Boateng in München unter Vertrag, Gespräche über eine Verlängerung habe es noch nicht gegeben. Vieles deutet auf eine Trennung im Guten hin. Das hat er sich nach den vergangenen acht Monaten redlich verdient.