Deutschland vs. Tschechien: Eine Geschichte von Elfmetern, Wutausbrüchen und Golden Goals

Schoss 1996 die entscheidenen Tore gegen Tschechien: Oliver Bierhoff
Schoss 1996 die entscheidenen Tore gegen Tschechien: Oliver Bierhoff / Clive Mason/Getty Images
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Heute Abend (20.45 Uhr) empfängt die deutsche Nationalmannschaft die Auswahl Tschechiens zum Testspiel in Leipzig. Spiele gegen die Tschechen (oder Tschechoslowaken) waren in der Vergangenheit häufig epochale Auseinandersetzungen. Drei von ihnen lassen wir hier Revue passieren.

Ein viertes streifen wir am Rande. Denn das Halbfinale der Weltmeisterschaft von 1934 (in Italien) ist dann doch schon einige Tage her. Die Deutschen unterlagen damals mit 1:3 gegen den späteren Vize-Weltmeister (Italien sicherte sich mit einem knappen 2:1-Sieg den Titel).

Das Elfmeter-Drama von Belgrad 1976

Zum ersten bedeutsamen Spiel beider Nationen wurde das an Dramatik kaum zu überbietende EM-Finale von Belgrad 1976. Zuvor hatte sich das DFB-Team in einem Wahnsinns-Halbfinale gegen die jugoslawischen Gastgeber durchgesetzt. Dort zeigte die Elf von Helmut Schön nach 0:2-Rückstand die typischen deutschen Tugenden: Kampfgeist und Moral. Und sie hatte einen Müller in ihren Reihen.

Der hieß zwar nicht Gerd mit Vornamen (denn der Bomber der Nation hatte nach dem gewonnenen WM-Titel zwei Jahre zuvor seinen Abschied aus der Nationalelf verkündet), sondern Dieter: aber Tore konnte der damalige Kölner auch schießen. Und wie.

In besagtem Halbfinale erst in der 79. Minute (und beim Stande von 1:2) eingewechselt, machte Dieter Müller mit seiner ersten Ballberührung den vielumjubelten Ausgleich. In der Verlängerung legte er gleich noch zweimal nach und erlegte die nunmehr auch physisch einbrechenden Gastgeber somit quasi im Alleingang. Drei Tore im ersten Länderspiel seiner Karriere. Kann auch nicht jeder von sich behaupten.

Das Finale war dann zunächst eine Kopie des Semifinales. Erneut lag die DFB-Elf frühzeitig mit 0:2 hinten. Svehlik und Dobias hatten die damals noch als CSSR (oder Tschechoslowakei) firmierende Mannschaft bis zur 25. Minute zu einer vermeintlich vorentscheidenden Führung geschossen. Doch Deutschland hatte ja einen Müller. Dieter Müller.

Der traf noch vor der Pause zum Anschlusstreffer. Danach dauerte es jedoch bis zur 90. Minute, ehe das verzweifelte Anrennen der Deutschen mit dem Last-Minute-Ausgleich von Bernd Hölzenbein belohnt wurde. Verlängerung.

In der geschah nicht mehr viel, und so kam es, übrigens zum ersten Mal in der Geschichte eines Großturnieres, zum Elfmeterschießen.

Masny (1:0), Bonhof (1:1), Nehoda (2:1), Flohe (2:2), Ondrus (3:2), Bongartz (3:3) und Jurkemik blieben zunächst allesamt fehlerfrei vom Punkt. Dann kam der Auftritt des damals 24-jährigen Uli Hoeneß. Sein Schuss in den Belgrader Abendhimmel sollte später nicht minder berühmt (berüchtigt) werden, wie der nun folgende letzte Schuss der Tschechen.

Elfmeter wurden damals einfach geschossen. Meistens hart, zuweilen platziert, manchmal als Kombination von beidem, bisweilen auch nur hart und alles andere als platziert (wie Johann Neeskens im WM-Finale zwei Jahre zuvor), doch was Antonín Panenka an diesem Abend des 20. Juni 1976 fabrizierte, hatte die Welt noch nicht gesehen.

Sein Elfmeter im EM-Finale 1976 sollte Schule machen: Antonín Panenka
Sein Elfmeter im EM-Finale 1976 sollte Schule machen: Antonín Panenka / MICHAL CIZEK/Getty Images

Der Anlauf war normal, auch die Ausholbewegung unterschied sich kaum von anderen Strafstößen. Doch dann stoppte der geniale Techniker kurz ab - und chippte den Ball, als Lupfer, in Richtung Tor. Die Nerven hat auch nicht jeder. DFB-Torwart Sepp Maier war jedenfalls schon längst in die von ihm aus linke Ecke gehechtet und musste aus den Augenwinkeln zusehen, wie der Ball aufreizend langsam mittig ins Tor schwebte. Der Panenka-Elfmeter war geboren. Und die Tschechoslowaken zum ersten Mal in ihrer Geschichte Europameister.

Beckenbauers Wutanfall trotz Sieges bei der WM 1990

Vierzehn Jahre später, bei der WM 1990 in Italien, hieß die Tschechoslowakei mittlerweile etwas sperrig Tschechische und Slowakische Föderative Republik - kurz CSFR. Fußballspielen konnten die Mitteleuropäer aber weiterhin.

Am 1. Juli 1990 war das Mailander Giuseppe-Meazza-Stadion (im Volksmund San Siro) Schauplatz eines denkwürdigen Viertelfinales. Gar nicht so sehr aufgrund fußballerischer Raffinesse, denn davon war - zumal aus deutscher Sicht - wenig bis gar nichts zu sehen. Und das, obwohl die Beckenbauer-Elf in der Runde zuvor die favorisierten Holländer mit 2:1 aus dem Rennen geworfen hatte.

Entsprechend war die DFB-Elf um ihren Kapitän Lothar Matthäus auch der große Favorit aufs Weiterkommen. Und zunächst schien auch alles seinen erwarteten Verlauf zu nehmen. Nach 25 Minuten verwandelte Matthäus einen Foulelfmeter zur Führung.

Doch danach ließ "die Mannschaft" den Faden abreißen. Fast keine gelungenen Aktionen mehr, kaum Spielwitz. Und die Tschechoslowaken kamen immer besser ins Spiel, hatten Chancen zur Genüge, auszugleichen. An der Seitenlinie gestikulierte Kaiser Franz wie ein Derwisch.

Auch nach den am Ende glücklich überstandenen neunzig Minuten war der Teamchef nicht zu beruhigen - und verpasste seiner Truppe in der Kabine einen Einlauf, als wäre sie ausgeschieden. Andi Brehme sollte später sagen, dass diese Reaktion ihres Trainers der Mannschaft noch mal die Augen geöffnet hatte. Über England kam die DFB-Auswahl dann ins Finale von Rom. Der Rest ist Geschichte.

Bierhoffs Golden Goal in Wembley 1996

Sechs Jahre später, bei der Europameisterschaft in England, standen sich Deutsche und Tschechen erneut gegenüber. Die Slowaken fehlten diesmal, denn drei Jahre zuvor hatte sich das Land CSFR in einem beispielhaften weil friedlichen politischen Prozess in zwei unabhängige Staaten aufgespalten.

Und erneut war es ein Finale der Kontinentalmeisterschaft. Der Rahmen: das altehrwürdige Wembley-Stadion zu London. Deutschland ging mit zahlreichen verletzungsbedingten Ausfällen personell praktisch am Stock. Der letzte Rest der Aufrechten musste dann zunächst eine schon fast groteske Fehlentscheidung des italienischen Schiris Pairetto hinnehmen, der in der 59. Spielminute auf Foulelfmeter entschied. Heute würde der VAR einschreiten, denn Matthias Sammers Foul an Karel Poborský hatte eindeutig vor der Strafraumgrenze stattgefunden.

Personell ausgedünnt, durch eine Fehlentscheidung eine halbe Stunde vor Abpfiff in Rückstand geraten - nicht viele Mannschaften kommen in solch einer Lage noch mal zurück. Deutschland schon. Denn sie hatten wieder einen Joker.

Zehn Minuten nach dem Rückstand setzte Nationaltrainer Berti Vogts alles auf eine Karte und nahm den bis dahin stark spielenden Mehmet Scholl aus der Partie. An den heimischen TV-Geräten rauften sich viele Deutsche die Haare. Wie kann er nur? Für Scholl kam Oliver Bierhoff.

Und der brauchte nur vier Minuten (!), um eine Freistoß-Flanke von Christian Ziege zum 1:1 zu verwerten. Das Spiel ging in die Verlängerung, in der die Regel des Golden Goal erstmals im Weltfußball angewandt wurde. Wer nun das erste Tor schießen würde, war Sieger. Sudden Death, wie die US-Amerikaner das nennen. Plötzlicher Tod.

Ein Bild für die Geschichtsbücher: Oliver Bierhoff schoss Deutschland 1996 zum Titel
Ein Bild für die Geschichtsbücher: Oliver Bierhoff schoss Deutschland 1996 zum Titel / BORIS HORVAT/Getty Images

Und der ereilte die tapferen Tschechen (die in der 90. Minute durch Vladimir Smicers Distanzschuss den Sieg um Haaresbreite verfehlt hatten) dann in der 5. Minute der Extra-Time. Ein an sich nicht unhaltbarer Drehschuss von Bierhoff glitt Torwart Petr Kouba über die Handschuhe und von dort ins Tor.

Nicht sofort registrierten alle auf dem Platz, was das bedeutete: Deutschland war zum dritten (und bis heute letzten) Mal Europameister geworden.