Der Hamburger SV 2020/21: Die Saison-Zeugnisse der Rothosen
Von Guido Müller

Der HSV hat eine insgesamt enttäuschende Saison zu Ende gebracht und erneut den Aufstieg in die Bundesliga verpasst. Wir haben die einzelnen Rothosen unter die Lupe genommen und am Saisonende bewertet.
1. Daniel Heuer Fernandes
Viele Möglichkeiten sich auszuzeichnen, bekam der letztjährige Stammkeeper in dieser Saison nicht. Schon vor dem Saisonstart stand fest, dass sich der Klub auf dieser Position verstärken würde. Heuer Fernandes stand beim (kollektiv) desaströsen Erstrunden-Aus im Pokal bei Dynamo Dresden (1:4) auf dem Feld, wurde dort aber von seinen Vorderleuten gnadenlos im Stich gelassen. In den beiden folgenden Liga-Spielen (gegen Düsseldorf und in Paderborn) stand der Deutsch-Portugiese dann noch zweimal zwischen den Pfosten der Hamburger, bevor der HSV die Verpflichtung von Sven Ulreich bekannt gab. In der Summe zu wenig Leistungsnachweise für eine Bewertung. Note: -
2. Sven Ulreich
Mit einigen Vorschusslorbeeren war Sven Ulreich bedacht worden, als er im Oktober letzten Jahres seine Unterschrift unter einen Dreijahres-Vertrag setzte. Im Umfeld des Klubs wurde die langjährige Bayern-Vergangenheit des Schlussmanns als Qualitätsmerkmal hervorgehoben. Doch schon bald offenbarten sich bei der neuen Nummer 1 im Tor der Hamburger erhebliche Defizite im Spiel mit dem Ball. Die wurden anfänglich zwar noch durch siegreich gestaltete Spiele (in Fürth, gegen harmlose Auer und gegen die damals schon am Tabellenende liegenden Würzburger) kaschiert, sorgten aber für eine schleichende Verunsicherung in der Hintermannschaft. Negativer Höhepunkt: der slapstick-hafte Gegentreffer zum 2:3 in Heidenheim, als sich Ulreich bei einem Abstoß in den Schlusssekunden des Spiels nicht mit Toni Leistner einig wurde, ob man nun lang oder kurz spielen sollte. Ulreichs fehlerhafte Ballverarbeitung nutzte Kühlwetter dann zu seinem dritten Tor an diesem Nachmittag. In der Folge wurde es nicht wesentlich besser. Den Verdienst, seiner Mannschaft mal ein Spiel gerettet zu haben, kam man Ulreich eigentlich nur beim 0:0 In Düsseldorf zu Beginn der Rückrunde zusprechen, als er in den Schlussminuten zwei gefährliche Kopfbälle der Hausherren entschärfen konnte. Dem Anspruch, seiner Mannschaft ein sicherer und souveräner Hinterhalt zu sein, wurde Ulreich über die gesamte Saison hinweg leider nie gerecht. Note: 5.
3. Rick van Drongelen
Ähnlicher Fall (aus anderen Gründen) wie bei Daniel Heuer Fernandes. Insgesamt kam der Holländer, der sich am letzten Spieltag der Vorsaison einen Kreuzbandriss zugezogen hatte, in dieser ablaufenden Saison auf nur drei Einsätze. Zu wenig um eine seriöse Bewertung abzugeben. Note: -
4. Stephan Ambrosius
Das Beste gleich zu Beginn: mit deutlichem Abstand war Stephan Ambrosius der über die gesamte Saison hinweg beste HSV Profi! Zwar gab es auch von ihm den einen oder anderen sehr fahrigen Auftritt (wie z.B. beim 3:3 in Aue Anfang Februar), aber insgesamt hat der 22-Jährige in dieser Spielzeit eine sehr gute Entwicklung genommen. Seine im Januar bekanntgegebene Vertragsverlängerung bis 2024 erscheint in diesem Lichte betrachtet durchaus gerechtfertigt. Note: 2-
5. Toni Leistner
Als Säulenspieler angepriesen, hatte der 30-Jährige zunächst einen denkbar holprigen Start in Hamburg. Nach dem Pokal-Aus geriet er mit einem Dynamo-Fan aneinander - und wurde wegen eines Schupsers gegen diesen erstmal vom DFB gesperrt. Bei seinem ersten Einsatz nach der abgebrummten Strafe flog er beim Spitzenspiel in Fürth am dritten Spieltag nach einer Stunde wegen einer Notbremse vom Platz. In der Folge jedoch schwang er sich zum Anführer der Hamburger Hintermannschaft auf. Zwar ist sein Aufbauspiel durchaus noch ausbaufähig, zumal was die Geschwindigkeit (und bisweilen auch die Genauigkeit) betrifft, doch mit seiner vorangehenden Art und seiner lautstarken Kommunikation auf dem Feld gab er vor allem seinem jungen Innenverteidiger-Kollegen Ambrosius Halt. Note: 3
6. Gideon Jung
Nach neunzehn Spieltagen konnte Jung eine auf den ersten Blick bemerkenswerte Bilanz nachweisen: in allen zwölf Saison-Spielen, die er bis dahin absolviert hatte, war der HSV als Sieger vom Platz gegangen. Doch bei einem genaueren Blick relativiert sich dieser Umstand schon wieder um einiges, denn es handelte sich meistens nur um Kurzeinsätze, die ihm von Trainer Thioune zugestanden wurden. Und spätestens mit dem völlig unnötigen 3:3 im Erzgebirge (nach 3:1-Führung) war dann auch Jungs Unbesiegbarkeits-Nimbus gebrochen. Ein weiterer verheerender Auftritt in Würzburg sorgte dann dafür, dass Jung nur noch zu zwei Kurzeinsätzen kam. Note: 5-
7. Tim Leibold
In der vergangenen Saison noch der zuverlässig liefernde Tor-Butler, war davon bei Tim Leibold in dieser sich dem Ende neigenden Saison praktisch nie etwas zu sehen. Unkonzentriertheiten, mangelndes Abwehrverhalten bis hin zur Dummheit (wie bei der Roten Karte während der Nachspielzeit im Stadtderby) und irgendwie fehlende Frische zogen sich beim Kapitän wie ein roter Faden durch die Saison. Note: 4-
8. Josha Vagnoman
Ein Außenbandriss gleich nach dem ersten Spieltag warf den Youngster zu Saison-Beginn etwas zurück. Dennoch kam Vagnoman sogar noch stärker aus der drei Spiele währenden Zwangspause und schien nach einem überzeugenden Spiel gegen den SV Sandhausen (4:0), bei dem ihm sogar ein sehenswertes Tor gelang, auf einem richtig guten Weg zu sein. Doch in der Folge schlichen sich wieder die üblichen Verhaltensmuster (in Form von fehlender Konzentration bis hin zur Schläfrigkeit) in sein Spiel - und er ging zusammen mit dem Rest der Mannschaft in der Rückrunde unter. Note: 4
9. Jan Gyamerah
In der Vorsaison der große Pechvogel beim HSV, als er sich, gut in die Saison gestartet, nach dem fünften Spieltag das Wadenbein brach und quasi über die gesamte Rest-Saison fehlte und erst in den letzten vier Spielen wieder zu Kurzeinsätzen kam. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass dieser Gyamerah nicht mehr derselbe wie vor der Verletzung ist. Eine einzige Torbeteiligung sind für einen Außenverteidiger moderner Prägung schlichtweg zu wenig. Zumal dieses Defizit auch nicht etwa durch monstermäßig gute Defensivleistungen kompensiert wurden. Mir noch in unguter Erinnerung: sein "Mittagsschläfchen" bei Lees Kopfball zum 1:0 für Kiel im Rückrunden-Spiel gegen die Störche. Dass der HSV nicht mehr zwingend mit ihm plant, erscheint nur folgerichtig. Note: 5.
10. Klaus Gjasula
Als Säulenspieler verpflichtet, erwischte Klaus Gjasula ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub SC Paderborn - am zweiten Spieltag der Saison - einen rabenschwarzen Tag und verursachte mindestens zwei der drei Treffer, die der SCP binnen vier Minuten erzielte - und so aus einem 0:2 ein zwischenzeitliches 3:2 machte. Der an diesem Tag bockstarke HSV steckte aber auch das weg (nicht zuletzt weil Gjasula nach 65 Minuten "erlöst" und ausgewechselt wurde) und gewann noch mit 4:3. Doch die Zweifel an der Tragfestigkeit der Säule waren da bereits gesät - und sollten über die gesamte Saison hinweg nicht mehr ausgeräumt werden. Note: 5
11. Amadou Onana
Der Belgier ist schon rein körperlich ein echter Hingucker. Mit imposanter Statur ausgestattet geht dem erst 19-Jährigen jedoch immer noch zu häufig die Ruhe am Ball ab. Süffisant könnte man sagen, dass er mit seinen langen Beinen die von ihm verdaddelten Bälle wenigstens häufig zurückerobert. Auch bei ihm dachte ich während des Sandhausen-Spiels der Hinrunde, wo ihm sein erster Pflichtspiel-Treffer für den HSV gelang, dass sein Knoten geplatzt sei. Doch in der Folge passte sich auch Onana dem allgemeinen Niveau seiner Mannschaft an und ging am Ende mit unter. Note: 4
12. David Kinsombi
Wo ist der David Kinsombi aus Kieler Zeiten geblieben? Diese Frage stellen sich die Fans auch nach zwei Jahren, die der Deutsch-Kongolese mittlerweile beim HSV aktiv ist. Seine stärkste Zeit hatte der Mittelfeldspieler zwischen dem 12. und dem 20. Spieltag, wo ihm sieben seiner acht Scorerpunkte gelangen. Über die gesamte Spielzeit hinweg ist das natürlich viel zu wenig. Note: 5
13. Jeremy Dudziak
Fünf Torvorlagen in seinen ersten fünf Liga-Spielen (in den Spielen gegen Aue und Würzburg fehlte er verletzt): Dudziak schien sich einiges vorgenommen zu haben für diese Saison. Doch der gute Saisonauftakt sollte nur ein Strohfeuer bleiben. Viel zu oft lief das Spiel der Hamburger am Deutsch-Tunesier komplett vorbei. Mit seinen technischen Fähigkeiten müsste sich Dudziak viel mehr in das Spiel der Hamburger einbringen. Deshalb steht am Ende im Zeugnis die Note 5
14. Aaron Hunt
Mit der für ihn von Trainer Thioune vorgesehenen Rolle als Kurz-Arbeiter schien sich der Oldie im Kader der Hamburger zunächst gut anfreunden zu können. Der HSV eilte von Sieg zu Sieg. Mit zunehmenden Einsatzzeiten in der zweiten Saisonhälfte verblasste dieser Eindruck jedoch immer mehr. Bezeichnenderweise wurde ein Spiel zum Wendepunkt, bei dem er sich zum Helden hätte aufschwingen können. Doch selbst seine drei Tore bei Hannover 96 (Anfang April) reichten am Ende nicht für einen Dreier. Gegen Ende der Saison wurden Hunts körperliche Probleme immer sichtbarer. Note: 4-
15. Sonny Kittel
Neben Aaron Hunt und Jeremy Dudziak sicherlich der begabteste Fußballer im Kader der Rothosen. Das Problem: wenn der Kopf nicht entsprechend mitarbeitet, nützt alles Potential der Welt nichts. Bei Kittel hat man leider viel zu oft das Gefühl, dass Kittel gar nicht richtig auf dem Platz ist. Brotlose Kabinettstückchen sorgen dann eher für Verunsicherung (oder gar Frust) bei den Mitspielern. Auch Kittel hatte seine beste Phase im Winter, als er zwischen dem 13. und dem 20. Spieltag starke 10 Scorerpunkte in acht Spielen sammelte. Danach sollten nur noch drei in 13 Spielen hinzukommen. Da eine Saison aber 34 Spiele dauert, ist auch das viel zu wenig. Note: 4-
16. Bakery Jatta
Das könnte ein Fall für den Psychiater sein. Ob das ständige Gerede um seine angeblich falsche Identität vielleicht viel mehr auf Jattas Psyche einwirkt, als sich der Spieler selbst und sein Klub eingestehen wollen, wäre auf jeden Fall mal eine gründliche Untersuchung wert. Leistungstechnisch ist der Gambier jedenfalls in dieser Spielzeit komplett eingebrochen. Daran kann auch sein kurzzeitiges Hoch im Winter, als er in vier Spielen aufeinanderfolgenden Spielen fünf Scorerpunkte erzielte, nichts ändern. Note: 5
17. Khaled Narey
"Wow!", dachte ich nach den ersten fünf Spieltagen: dieser Daniel Thioune muss ja echt was drauf haben, wenn er sogar einen Khaled Narey, der unter Dieter Hecking absolut keine Rolle mehr gespielt hatte, wieder dermaßen in die Spur bringt. Narey wirkte zu Beginn der Saison jedenfalls wie ausgewechselt - und konnte nach fünf Spielen bereits drei direkte Torbeteiligungen vorweisen. Doch in der Folge kam dann nur noch wenig bis gar nichts vom ehemaligen Fürther. Selbst sein vom ganzen Team stürmisch gefeiertes Siegtor im Spitzenspiel beim VfL Bochum Mitte März konnte Narey offenbar nicht mehr genügend Selbstvertrauen einflößen. Note: 5
18. Manuel Wintzheimer
Nahezu identisch verlief die Formkurve von Manuel Wintzheimer. Nach besagten ersten fünf Spielen hatte der Angreifer sogar sechs Scorerpunkte (2 Treffer, 4 Vorlagen) auf dem Konto. Leider kamen zwischen dem 6. und dem 24. Spieltag nur noch zwei weitere hinzu, ehe "Wintz" noch mal ein kleines Zwischenhoch mit sechs Torbeteiligungen zwischen Spieltag 25 und 29 einbaute. Mit insgesamt dreizehn Torvorlagen ist Wintzheimer in dieser Saison der Nachfolger von Tim Leibold als Vorlagenkönig. Note: 4
19. Simon Terodde
Kann man einem Torjäger, der bislang 23 Tore in 32 Spielen für seine Mannschaft erzielt hat, mit einer schlechteren Note als "gut" benoten? Instinktiv würde man diese Frage verneinen. Doch bei einem genaueren Blick auf Teroddes diesjährige Leistungsbilanz fällt natürlich sofort die Diskrepanz zwischen Hinrunde (in der er 17 Mal traf) und Rückrunde auf. Nun kann Terodde natürlich auf den allgemeinen Leistungsabfall seiner Mitspieler verweisen - und darauf, entsprechend nicht mehr genügend Vorlagen bekommen zu haben. Das stimmt zwar. Aber zur ganzen Wahrheit gehören auch einige vergebene Großchancen - und Teroddes mangelhafte Einbindung in das Kombinationsspiel der Hamburger. Deshalb am Ende nur die Note 3.
20. Ogechicka Heil
Nur fünf Kurzeinsätze mit zusammen 44 Minuten Spielzeit sind natürlich zu wenig, um den 20-Jährigen objektiv bewerten zu können. Dennoch sind mir bei seinen Einsätzen sowohl sein nimmermüder Einsatz als auch seine enorme Grundschnelligkeit in Erinnerung geblieben. Note: -
21. Robin Meißner
Wurde von Interims-Trainer Horst Hrubesch ins Rennen geworfen, als das Kind HSV schon in den Brunnen gefallen war. Daniel Thioune hatte dem ehemaligen Paulianer bis dahin nur sieben Kurzeinsätze (mit 50 Minuten Spielzeit) zugestanden. Dennoch taugen Meißners drei Scorerpunkte (2 Tore, 1 Vorlage) in seinen beiden längeren Arbeitsnachweisen gegen Nürnberg (74 Minuten) und in Osnabrück (90 Minuten) durchaus als Hoffnungsmacher für die Zukunft. Note: -