"Danish dynamite" bei der EM: Pernille Harder im Profil

Kopfbälle, Freistöße, Fallrückzieher, Abstauber: Tore wird es bei der EM 2022 reichlich geben. Aber wer kann sich am Ende die Torjägerkrone aufsetzen? 90min wirft einen Blick auf die vielversprechenden Kandidatinnen: Von Kunstschützinnen über kreative Köpfe bis hin zu Kopfballmonster. Im fünften Teil geht es um Dänemarks Top-Torschützin Pernille Harder

Kurzvorstellung

Vielen ist sie als die teuerste Fußballspielerin der Welt bekannt. Doch Pernille Harder ist so viel mehr als ihre Ablösesumme. Neben der zweifachen Auszeichnung als Europas Fußballerin des Jahres (2018, 2020) hat die 29-Jährige gleich drei Nominierungen für den begehrten Ballon d'Or vorzuweisen. Auf individueller Ebene kommen weitere diverse Ehrungen hinzu. Diese werden fast von den zahlreichen Titel, die sie bisher mit ihren Vereinen gewann, überschattet.

Seit 2016 gewann sie in jedem Jahr die Meisterschaft, bis jetzt in drei verschiedenen Ländern und Ligen. In mehreren Spielzeiten schoss sich die Dänin jeweils als an die Spitze der Torstatistiken. Doch nicht nur ihre Rekorde machen Harder zu einer absoluten Schlüsselspielerin der dänischen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft. Mit 68 Treffern in 134 Einsätzen ist sie die beste Torschützin in der Geschichte des Landes und damit besonders für viele junge Mädchen ein Vorbild.

Bei Spielen des Teams wird deutlich, welchen Kult-Status Harder in ihrer Heimat genießt. Zahlreiche Fans tragen ihren Namen und Nummer auf den rot-weißen Trikots. Ist die Offensiv-Spielerin am Ball und auf dem Weg zum Tor, geht ein kollektives Raunen gefolgt von begeisterten Anfeuerungsrufen durch die Ränge. Harder ist sich bewusst, wie sehr sie ihre UnterstützerInnen inspiriert und nimmt diese Vorbildfunktion gerne an.

Ihr andauernder Erfolg zeugt von Harders Ehrgeiz und Ambition, sich ständig weiter zu entwickeln. Während der Europameisterschaft 2017 sorgten sie und die dänische Nationalmannschaft für Furore, als sie es völlig überraschend bis ins große Finale schafften. Dort kassierte das Team jedoch ein bitteres 2:4 gegen die Niederlande. Harder setzte sich in dem Spiel ein sportliches Denkmal, als sie den Ball kurz hinter dem Mittelkreis zugespielt bekam, auf das gegnerische Tor zu sprintete und unhaltbar einnetzte. Es ist unter anderem diese unbändige Willenskraft, die die Dänin dorthin gebracht hat, wo sie heute ist.

Karriere

Schon früh hatte Pernille Harder den Traum, die beste Fußballspielerin der Welt zu werden. Sie wuchs in dänischen Kleinstadt Ikast auf und trainierte während ihrer Schulzeit an der Akademie des FC Midtjylland. Ihr großes Ziel fest im Blick unterschrieb sie 2012 ihren ersten Profi-Vertrag bei Linköping FC in der schwedischen Damallsvenskan. Bereits drei Jahre zuvor gab sie ihr Länderspieldebut für Dänemark. Das Spiel mündete in einem dominanten 15:0 Kantersieg über Georgien, wobei die in der zweiten Hälfte eingewechselte Harder einen Dreierpack beisteuerte.

Nach diesem beeindruckenden Einstand etablierte sich die Dänin in der Nationalmannschaft und ist heute die Kapitänin des Teams. Bei ihrem Wechsel nach Schweden war sie dennoch ein eher unbekanntes Top-Talent. Doch schon bald machte sich Harder einen Namen in der Damallsvenskan. In insgesamt 87 Einsätzen für Linköping FC schoss die Dänin stolze 71 Tore und wurde 2016 als Torschützenkönigin ausgezeichnet.

Im gleichen Jahr gewann Linköping FC erstmals die schwedische Meisterschaft. Harder hatte mit ihren 23 Toren während der triumphalen Saison einen entscheidenden Anteil an dem Erfolg. Längst stand ihr Name auf der Liste der europäischen Top-Klubs. Im Januar 2017 erfolgte der Abschied aus Schweden, denn der deutsche Rekordmeister VfL Wolfsburg hatte sich die Dänin verpflichtet.

Der Wechsel nach Deutschland war anfangs von Zweifeln geplagt, da es einige Unterschiede zur Spielweise in der Damallsvenskan gibt. Die Frauen-Bundesliga ist ähnlich physisch, jedoch dynamischer und mehr auf Taktik fokussiert. Hinzu kommt, dass mehr Wert auf ein sauberes Aufbauspiel von der Verteidigungslinie aus gelegt wird.

Harder etablierte sich als offensive Mittelfeldspielerin schnell bei Wolfsburg. Unter anderem neben Ewa Pajor und Caroline Graham Hansen (heute beim FC Barcelona) bildete sie ein gefürchtetes Trio, das großen Anteil an den vergangenen Erfolgen der Wölfinnen hatte.

In der Autostadt ging Harder wegweisende Karriereschritte. Sie reifte dort zu der Weltklasse-Spielerin heran, die sie bis heute ist. Im grünen Trikot absolvierte die Dänin 75 Einsätze und blieb mit 68 Toren ihrer berüchtigten Quote treu. Direkt in ihrer erster Saison mit dem VfL gewann das Team die Meisterschaft, drei weitere sollten bis 2020 folgen. Hinzu gesellte sich in den vier Jahren auch die gleiche Anzahl an DFB-Pokal-Titeln. Jedoch blieb es stets beim Double-Gewinn. In der Champions League scheiterte Wolfsburg mehrfach kurz vor dem europäischen Titel, der eines von Harders großen Zielen ist. Zuletzt setzt es 2020 eine 1:3-Finalniederlage gegen Lyonnais.

Wenige Tage nach diesem Spiel bestätigte sich, was schon länger als Gerücht im Umlauf war. Harder wechselte für eine unbekannte Rekord-Summe zum FC Chelsea in die englische Women's Super League (WSL). In mehr als 50 Spielen für die Blues konnte die Dänin jedoch nicht an vorherige Tor-Rekorde anknüpfen. Neben einigen Verletzungen bremst sie auch eine veränderte Rolle in der Formation des Teams aus. Dennoch gewann sie bereits zweimal den WSL-Titel, sowie diverse andere Liga-Pokale.

2021 schaffte es das Team erstmals ins Finale der Champions League. Jedoch gewann der FC Barcelona das denkwürdige Spiel dank vier Toren in der ersten Hälfte. Chelseas Titelträume endeten auch in der darauffolgenden Saison mit einem weiteren 4:0-Schock. Dieses Mal kam das Aus bereits in der Gruppenphase, sowie gegen Harders Ex-Verein aus Wolfsburg. Die Dänin hat bei den Blues aktuell einen Vertragt bis Juni 2023 und wird alles daran setzen, dem Team doch noch zu europäischem Ruhm zu verhelfen.

Spielstil

Pernille Harder ist eine offensive Mittelfeld-Spielerin, die meistens auf der Position der 10 agiert. Eine ihrer größten Stärken ist ihre Art, das Spiel zu lesen. Instinktiv weiß die Dänin genau, wann und wohin sie laufen muss, um selbst an den Ball zu kommen oder ihre Mitspielerinnen in gute Positionen zu bringen. Neben Toren steuert sie auch eine Vielzahl an Assists bei. Die Schlüssel-Rolle zwischen Mittelfeld und Angriff gibt Harder die Freiheit und Kreativität in ihrer Spielgestaltung, die ihr Markenzeichen ist.

Die Dänin ist eine "komplette Offensiv-Spielerin". Sie agiert nicht als die klassische Abstauberin vor dem Tor, sondern spielt sich die Mehrheit ihrer Tore heraus. Dabei kommt ihr ihre Dynamik und Explosivität zu Gute. Einmal am Ball ist es schwer, Harder davon zu lösen. Sie verfügt über eine enorme Spielintelligenz und findet selbst bei tief stehenden Gegnern Räume für Durchsteckpässe oder Torschüsse. Daraus resultiert unter anderem ihr xG von 0.50 bei Chelsea, für die sie bis jetzt 15 Tore in der WSL schoss.

Im Ballbesitz legt Harder häufig längere Strecken im letzten Drittel zurück, um selbst einen Torschuss abzugeben, oder einer Mitspielerin zu assistieren. Im Durchschnitt sind es 3,92 shots und 0.23 Vorlagen je 90 Minuten. Während einigen dieser dynamischen und kraftvollen Läufe nutzt Harder erfolgreich Dribbles, um die gegnerischen Verteidigerinnen hinter sich zu lassen. Neben Toren aus dem offenen Spiel heraus verwandelt die Dänin auch regelmäßig und sicher Strafstöße vom Punkt.

Harders Schnelligkeit ist besonders bei Konterangriffen ihrer Teams ein Vorteil. Ihre Rate von 67,4% komplettierter Pässe ist durchaus verbesserungswürdig. Dies gilt auch für die defensiven Aktionen der Dänin, beispielsweise nach Ballverlusten. Jedoch überwiegen ihre erfolgreichen Statistiken, wie eine 73%-ige Erfolgsrate bei progressiven Pässen.

Harders Spielintelligenz, sowie der Instinkt für das richtige Timing, in Kombination ihrer Schnelligkeit und exzeptionellen technischen Fähigkeiten machen sie bei der EM zu Dänemarks Schlüsselfigur. Sie ist die treibende Kraft des dänischen Angriffsspiels. Dabei agiert sie keinesfalls durchweg egoistisch, sondern bindet ihre Mitspielerinnen aktiv ein und schafft so eine torgefährliche Einheit auf dem Spielfeld.

Bei der EM 2017 gelang dem "dänischen Dynamit" mit dem Finaleinzug bereits eine große Überraschung. Sofern in der anstehenden Gruppenphase erneut der Funke auf dem Platz überspringt, kann es das Team weit bringen. Pernille Harder wird maßgeblich daran beteiligt sein, dem Kampf um den Titel ihr Feuer zu verleihen.

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