Bayerns Transferphilosophie: Karl-Heinz Rummenigge entlarvt sich als vergesslich!
Von Guido Müller

"Ich kenne die Weise, ich kenne den Text. Ich kenn auch die Herren Verfasser. Ich weiß, sie tranken heimlich Wein - und predigten öffentlich Wasser." Dieses Bonmot aus Heinrich Heines "Deutschland - ein Wintermärchen" ist vielfältig anwendbar. Ob in der Politik, in der Gesellschaft allgemein - oder auch im Mikrokosmos Fußball-Business.
Karl-Heinz Rummenigge hat mal wieder einen rausgehauen. Nein, diesmal ist es kein Gedicht für scheidende Vorstandskollegen ("Lieber Franz, Ich danke dir, ich danke dir, ich danke dir sehr!") oder irgendeine hohle Beruhigungsphrase angesichts drohender neuer Fußballturnier-Formate.
Nein, diesmal hat KHR versucht, eine Art Definition des FC Bayern München zu geben. Der habe nämlich, so der Vorstandsvorsitzende, "noch nie einen Spieler geholt, um einen Konkurrenten zu schwächen", wie er im Interview mit FranceFootball erklärte. Da dürften 99 Prozent der Leser aber mal herzhaft und laut gelacht haben. In Zeiten, in denen sich selbst die Regierungschef einiger der mächtigsten Länder der Welt nicht zu schade dafür sind, das erwiesenermaßen Offensichtliche als fake-news abzutun, kann es natürlich nicht überraschen, dass auch in einem von Milliarden und Abermilliarden bestimmten Geschäft wie dem Fußball die Wahrheitstreue bisweilen auf der Strecke bleibt. Oder ist es nur Vergesslichkeit?
Gucken wir doch einfach mal auf die Historie - und stellen die Uhren ein paar Jahrzehnte zurück. Siebziger Jahre. Dem FC Bayern ist während dieses Jahrzehnts in Borussia Mönchengladbach ein gefährlicher sportlicher Rivale erwachsen. So gefährlich, dass die Münchener irgendwann beginnen, die vielversprechendsten Spieler des Klubs vom Niederrhein abzuwerben. Und einen Lothar Matthäus will ich an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang gar nicht nennen. Matthäus war eine zwangsläufige Verpflichtung - und stellte sich auch im Nachhinein als Volltreffer heraus. Hätten die Bayern ihn nicht geholt, damals im Sommer 84, wäre ein Serie-A-Klub um die Ecke gekommen.
Was war denn mit Del Haye?
Nein, hier geht es um eine andere Kategorie von Spielern. Nämlich um die, die bei ihren vorherigen Klubs eine prominente Stellung hatten, eine spezifische Wertigkeit, ohne jedoch ein absolutes Must-have für den deutschen Rekordmeister (das sind die Bayern ja schon seit den Achtzigern) darzustellen. Beispiel (in Bezug auf Borussia Mönchengladbach): Calle del Haye. Unter Weisweiler, Lattek und Heynckes auch nicht immer, aber doch oft genug eingesetzt, um sich als wichtiger Bestandteil zu fühlen, folgte der Außenstürmer 1981 dem Ruf (des Geldes?) aus München - nur um unter Pal Czernai von da ab ein Reservistendasein zu fristen. Schon damals wurde genau diese Transferstrategie den Münchenern zum Vorwurf gemacht. Man kann den Spieler selbst eigentlich kaum brauchen - aber man holt ihn, um dem Konkurrenten zu schaden.
Was war denn mit Valerien Ismael?
In den Neunzigerjahren war dann Werder Bremen eine Zeit lang der Rivale, den es zu schlagen galt. Ist es also nur ein Zufall, dass in diesen Jahren Spieler wie Ismael und Klose geholt wurden? Wobei Klose wieder, analog zu Matthäus, ein Pflichtdeal für den Branchenprimus war. Denn nach dem Münchener Selbstverständnis müssen die besten deutschen Spieler (und Klose war einer der allerbesten!) natürlich auch bei Bayern spielen.
Aber Ismael? Der kann getrost auf die del-Haye-Schiene gelegt werden. Für seinen bisherigen Klub mit einer hohen Relevanz, wurde er in München zum Mitläufer. Doch der Konkurrent war - zumindest ein Stück weit - erstmal destabilisiert. In diesem Zusammenhang ist eine Aussage von Uli Hoeneß bemerkenswert. Jahre später auf die Verpflichtung von Jan Schlaudraff angesprochen, gab der Bayern-Manager zu, Schlaudraff nur verpflichtet zu haben, um Werder Bremen (die sehr an dem damaligen Alemannia-Aachen-Spieler interessiert waren) zu ärgern. Deutlicher kann man einen Vorwurf kaum bestätigen.
Oder mit Götze?
Und dann war auch schon wieder die lange verschollene Dortmunder Borussia zurück im Rampenlicht. Und kaum war sie da und kam den Münchenern sportlich gefährlich nahe, schon wurden Spieler des BVB für den Bayern-Kader interessant. Klar, einen Mats Hummels und einen Torjäger wie Robert Lewandowski holt man vor allem, um die eigenen Reihen zu stärken. Aber war Mario Götze wirklich so wichtig? Oder gehorchte auch dieser Deal mehr der Philosophie, die Konkurrenten sportlich zu schwächen? Seine Leistungsbilanzen in dem einen und in dem anderen Klub lassen jedenfalls durchaus Raum für letztgenannte Theorie .
Von daher sollte Karl-Heinz Rummenigge sich in Zukunft mehr auf die Leitung seines Klubs beschränken, als zu versuchen, mit unglaubwürdigen Aussagen das bisweilen schiefe Bild, das der Klub in Sachen Transfergebaren gibt, geradezurücken.