Atlético gegen Liverpool: Trainerparadies gegen früheren Schleudersitz
Von Guido Müller
Am Dienstagabend (21.00 Uhr) treffen im Estadio Wanda Metropolitano Atlético Madrid und derFC Liverpool in der Champions League aufeinander. Wenn es zwischen diesen beiden Klubs einen grundlegenden Unterschied gibt, ist es sicherlich die Anzahl an Trainern, von denen sie im Laufe ihrer Vereinshistorie betreut wurden.
Es begann mit einem Schotten-Paar
Gegründet wurde der FC Liverpool am 3. Juni 1892. Das allererste Trainergespann, William Edward Barclay und John McKenna, kam aus Schottland.
Das Bemerkenswerte: in den folgenden 129 Jahren sollte der Trainerstuhl an der Anfield Road nur noch 19 weitere Besitzer haben. Einer von ihnen, Kenny Dalglish, befehligte die Spieler der Reds sogar in zwei verschiedenen Trainer-Perioden.
Zum Vergleich: auf die Anzahl von 19 Übungsleitern (kurzzeitige Notlösungen wie Peter Knäbel oder Frank Arnesen inbegriffen) kommt der Hamburger SV allein in dem Zeitraum zwischen Juli 2010 (Armin Veh) und heute (Tim Walter).
Liverpools Antithese: Atlético Madrid
Auch der heutige Gegner der Reds stellt sowas wie eine Antithese zu diesem Ausbund an Kontinuität und Beständigkeit dar. Ab dem ersten Jahr unter einem professionellen Trainer (1921) bis heute haben insgesamt 76 Trainer ihr Glück im Süden der spanischen Hauptstadt probiert.
In der Epoche, in der der Trainerstuhl im damaligen Estadio Vicente Calderón bisweilen auch mit einem elektrischen verglichen wurde, unter der Ägide des allmächtigen Bauunternehmers Jesús Gil y Gil (zwischen 1987 und 2003), verschlissen die Rojiblancos gar 40 Coaches.
Ganz anders in Liverpool. Entsprechend der langen Verweildauer der Übungsleiter am roten Ufer des Mersey River, haben bis heute Trainer aus nur sechs Nationen die sportliche Verantwortung bei den Scousers getragen: elf Engländer, vier Schotten, ein Franzose, ein Spaniern, ein Nordire und mit Jürgen Klopp ein Deutscher hatten auf der Liverpool-Bank das Sagen.
Bill Shankly
Als der bis heute nachhaltigste Trainer des FC Liverpool gilt (sorry, Jürgen!) der Schotte Bill Shankly. Als Muster an personeller Beständigkeit galt der Klub indes schon vor dessen Ankunft im Winter 1959.
Gerade mal neun Trainer hatte der Verein in den 67 vorausgegangenen Jahren unter Vertrag genommen. Was insofern erstaunt, als der Klub in jenen Jahren als Quasi-Fahrstuhlmannschaft zwischen erster und zweiter Liga galt.
Fünf Meisterschaften (sowie drei gewonnene Zweitliga-Championats) füllten die Titelsammlung der Reds, bevor Shankly den Klub auf allen Ebenen revolutionieren sollte. Ein FA-Cup jedoch, damals im sportlichen Wert fast noch über der Liga stehend, stand noch nicht in den Vitrinen des Klub-Museums.
Shankly modellierte in den kommenden Jahren einen Klub konform seiner Weltsicht. Die dem Sozialismus zusprach.
"Ich glaube an den Sozialismus!"
"Ich glaube an den Sozialismus", sagte er einmal einem Journalisten. "Aber nicht im Sinne einer politischen Ideologie, sondern als Lebensform im Allgemeinen und als Mensch. Seine wahre Bedeutung ergibt sich aus der kollektiven Kraftanstrengung, der Arbeit und der gegenseitigen Unterstützung, mit einer gerechten Verteilung der Gewinne. Das sind die Prinzipien, die mich sowohl im täglichen Leben als auch im Fußball leiten." (via elpais.com)
Rein fußballerisch legte Shankly Wert auf akkurates Passspiel. Ballbesitz, Bewegung und Ablenkung waren die drei großen Kategorien, in denen Shankly dachte. Und die er auch an seine Schüler (wie sein Nachfolger Bob Paisley) weitergab.
Mehr als vierzehn Jahre prägte Shankly die Geschichte des Klubs wie keiner zuvor und wohl auch keiner nach ihm. Sein Erbe in Titeln: drei Meisterschaften, zwei FA-Cups und ein UEFA-Pokal (1973).
Bob Paisley
Nach Shanklys überraschendem Rücktritt im Juli 1974 übernahm dessen Adept Bob Paisley das Kommando an der Anfield Road. Auf einer gesunden Basis aufbauend, konnte Paisley die Titelsammlung noch um einige Trophäen vergrößern.
Drei Europapokale der Landesmeister (die heutige Champions League), sechs Meisterschaften, ein UEFA-Cup, ein europäischer Supercup sowie drei Liga-Pokale zierten nunmehr den Briefkopf der Liverpooler.
Gérard Houllier
Der erste Nicht-Brite auf dem Trainerstuhl der Reds war der Franzose Gerard Houllier (1998-2004). Mit ihm gewann der Klub im Jahr 2001 vier (!) Pokale: Den UEFA-Cup (in einem dramatischen Finale gegen Deportivo Alavés), den FA-Cup, den Liga-Pokal und den Charity-Shield.
Rafa Benítez
Auf Houllier folgte mit Rafa Benítez der erste Spanier im Amt des Cheftrainers, der ebenfalls sechs Jahre (bis 2010) blieb und als größten Erfolg den Henkelpott (2005 im unvergesslichen Finale von Istanbul gegen die AC Mailand) nach Liverpool holen konnte.
Zwischen 2010 und 2015 schien sich dann auch der FC Liverpool dem allgemeinen Trend der Zeit, hin zu kurzfristigen Traineranstellungen, anzupassen. Immerhin besetzten in diesen fünf Jahren drei verschiedene Coaches (Roy Hodgson, Kenny Dalglish, in seiner zweiten Etappe, und Brendan Rodgers) den Trainerstuhl.
Jürgen Klopp
Bis Jürgen Klopp im Oktober 2015 das Heft in die Hand nahm. Vor ziemlich genau sechs Jahren, am 8. Oktober 2015, unterschrieb Klopp bei den Reds - und stellte sich binnen Kurzem auf eine Stufe mit Shankly und Paisley.
Die erste englische Meisterschaft seit dreißig Jahren im vergangenen Jahr, der Henkelpott (2019) sowie eine Champions-League-Finalteilnahme (2018), FIFA-Klubweltmeister 2019 und europäischer Supercup-Sieger im gleichen Jahr sind seine Ausbeute seitdem.
Am Dienstag also treffen Klopp und sein Team auf einen Klub, der in Bezug auf seine Trainer-Historie einen komplett anderen Weg genommen hat.
Doch augenscheinlich hat Atlético Madrid mit Diego Simeone (mit bald zehn Jahren (!) Amtszeit der Rekordhalter der Rojiblancos) nun auch Gefallen an Beständigkeit auf dem Trainerstuhl gefunden.