90min diskutiert: VAR behalten oder wieder abschaffen?

Der Videobeweis sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen: Wieder abschaffen oder behalten?
Der Videobeweis sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen: Wieder abschaffen oder behalten? / Michael Regan/Getty Images
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Woche für Woche sorgen Schiedsrichter-Entscheidungen für Diskussionsstoff. Seit ein paar Jahren auch die des VAR - oftmals auch in Zusammenarbeit. Eine ewige Diskussion, die nun wieder neu entfacht wurde: Sollte der VAR weiterhin behalten oder wieder eingestampft werden?

Wir stellen in unserer Serie '90min diskutiert' zwei konträre Meinungen aus unserer Redaktion gegenüber. Pro oder contra VAR - wer hat die besseren Argumente?


Die Champions-League-Partie zwischen Manchester City und Borussia Dortmund hätte durchaus auch anders und nicht 2:1 für die englischen Gastgeber ausgehen können. Ein eigentlich regulärer BVB-Treffer wurde nicht gegeben, der Pfiff zum vermeintlichen Foul erfolgte vor dem Tor an sich.

Auf der anderen Seite stand der Unparteiische Ovidiu Hategan gefühlt zehn Minuten im Austausch mit dem VAR und am Bildschirm, um eine eigentlich klare Fehlentscheidung zum Elfer für City einzukassieren. Viel "eigentlich" dabei, wobei der Einsatz des Video-Assistenten für Fehler-Reduzierung und mehr Klarheit sorgen sollte. Dementsprechend diskutiert 90min die Frage: Sollte der VAR beibehalten oder wieder eingestampft werden?

Jude Bellingham, Ederson
Die strittige Szene am CL-Dienstag: Jude Bellingham kommt klar vor Ederson an den Ball / Michael Regan/Getty Images

Pro - Der VAR sollte und muss beibehalten werden

Seit Jahren wird der Video-Assistent in diversen Ligen benutzt, inzwischen findet man kaum noch Wettbewerbe, in denen diese Technologie keine Anwendung findet. Die Diskussionen um die Schiedsrichter-Entscheidungen haben, wie zunächst befürchtet, nicht abgenommen. Das liegt in ganz weiten Teilen aber nicht am System des VAR selbst.

Ein zusätzliches Tool, was den Schiedsrichtern erlaubt, kritische Spielentscheidungen - die sonst in Sekundenbruchteilen gefällt werden müssen - entweder sicher zu bestätigen oder eben zu korrigieren, ist in der heutigen, modernen Zeit ein Muss. Auch im Fußball. Mögliche Elfmeter können überprüft werden, kalibrierte Linien entdecken genaue Abseitspositionen, klare Schwalben oder versteckte Tätlichkeiten gehören immer mehr und fast ausnahmslos der Vergangenheit an.

Bundesliga, Manuel Gräfe
Die Schiedsrichter müssen weiterhin auf den VAR-Support zählen können / WOLFGANG RATTAY/Getty Images

Ein System, das derartige Vorteile ermöglicht, kann nicht mehr abgeschafft werden. Hätte man keine Video-Assistenten mehr, wie groß wäre der Ärger, wenn klare Schwalben wieder Elfmeter provozieren oder Abseitstreffer über den potenziell sehr wichtigen Verlauf in einem Spiel oder gar in einer Saison entscheiden könnten? Die Forderungen nach der Wiedereinführung wären wohl deutlich lauter, als die nach der Abschaffung.

Natürlich gibt es auch mit dem VAR Probleme. Dieses System benötigt weiterhin eine Überarbeitung, eine Verfeinerung. Beispiel: Schiedsrichter müssen strittige Tor-Situationen laufen lassen können, ebenso wie es bei Abseits der Fall ist, um sie überprüfen zu können. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein - und hätte dem BVB im oben genannten Fall ein Tor ermöglicht.

Zu viel und zu lange wird auch nicht interveniert, das scheint ein subjektives Gefühl zu sein. Das IFAB veröffentlichte bereits vor zwei Jahren eine Studie aus 972 Spielen aus 20 Ländern. Das Resultat: Fast 70 Prozent der Spiele brauchten gar keinen VAR-Einsatz. Und in nur 5,5 Prozent aller Spiele, wo er eingreifen musste, gab es gleich mehrere Einsätze. Ein System, das dieses schnelle Spiel fairer machen kann und es überproportional häufig auch tut, darf und kann nicht mehr abgeschafft werden. Wenngleich es weiter reformiert werden muss.


Contra - VAR-Zirkus: So funktioniert es nicht!

Das Konzept des VAR maßt es sich an, im Fußball zwischen richtig und falsch unterscheiden zu können. Bei Abseitspositionen oder Ausbällen mag das funktionieren, nicht aber im Getümmel auf dem grünen Rasen. Fußball ist eine Körperkontaktsport, dessen Regularien im Zweikampf schon immer eine individuelle Auslegung voraussetzten. Der VAR kann dabei helfen, klare Fehlentscheidungen zu revidieren. Das System - und was, wenn nicht das Champions-League-Spiel zwischen Manchester City und dem BVB zeigt dies eher - funktioniert jedoch nicht.

Die Eingriffe des VAR sind zu engmaschig und verkopft. Die klaren Fehlentscheidungen, die im Fußall vorkommen können, verhindert die Technologie. Abseits davon ist die Verwendung des VAR jedoch eine Zirkusveranstaltung - und fairer ist der Sport dadurch sicher nicht geworden, sondern schleppender, vorsichtiger und chaotischer.

Situationen, der Dynamik des Spiels entsprungen, werden in endlosen Sequenzen auseinandergenommen und analysiert, während das Spiel ruhen muss. Und letztendlich sind es die Auslegungsentscheidungen, an denen der VAR bricht und versagt. Schiedsrichter entscheiden nicht mehr intuitiv, sondern passiv. Außer beim Spiel zwischen ManCity und dem BVB: dort missachtete der Schiedsrichter das Protokoll und entschied intuitiv auf Foulspiel.

Das ist es, wo der Fußball wieder hinsollte: ein dynamisches, fehlerhaftes, aber vollkommenes Spiel. Und worüber reden wir beim VAR denn eigentlich? Über Fairness? Sicher nicht. Es geht, worum auch sonst, um das Geld. Die reichen Institutionen, die die Wirtschaft im Fußball ankurbeln, wollen ihr Geld nicht verlieren, weil ein Schiedsrichter eine falsche Entscheidung getroffen hat. Dafür wurde diese Technologie meiner Meinung nach eingeführt: damit Situationen, wie die im CL-Spiel zwischen Manchester und Dortmund, nicht mehr passieren.

In der Königsklasse, bei Weltmeisterschaften, in den K.o.-Wettbewerben der Elite: dort fließen Geld und Erfolg. Und dort muss das Spiel berechenbarer sein, für die Investoren und Mächtigen dieser Branche. Für die Fans wurde die Technologie des VAR sicher nicht eingeführt. Und wenn wir diesen Sport schon berechenbarer machen wollen, dann aber auch richtig.

Die Fehlentscheidung des Schiedsrichters könnte dem BVB das Champions-League-Halbfinale kosten. Wenn so ein Dilemma trotz des Einsatzes der Video-Technologie, ausgetüftelter Anwendungskonzepte und minutenlangen Studien der Bilder eintreffen kann, ist der VAR ad absurdum geführt worden. In dieser Form weiß ich nicht, wem die Technologie helfen soll. Ich weiß nur, dass der Sport durch den VAR weder fairer, noch attraktiver geworden ist.