Bayer Leverkusen bei Atlético: Seid doch einfach mal ein bisschen galliger!
Von Guido Müller

Wohlfühloase - das Wort hat, zumal bei meinem Leib-und Seelenverein HSV, in den letzten Jahren Hochkonjunktur gehabt. Doch in letzter Zeit wurde dieser Begriff auch mit Bayer Leverkusen immer öfter in Verbindung gebracht. Zurecht?
Der Begriff an sich definiert sich schon aus sich selbst heraus. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlt. Und um Leistung zu bringen, muss man sich ja bekanntlich wohl fühlen (Extremsituationen wie das Leben bedrohende Notlagen mal außen vor gelassen). Also alles paletti, oder? Mitnichten. Denn eine Fußball-Mannschaft ist schon vom rein psychologischen Aspekt eine höchstkomplizierte Angelegenheit.
Eine zu stark verankerte Zufriedenheit, ohne materielle Begründung (in Form von Titeln), kann im Fußball sehr schnell in Selbstzufriedenheit ausarten. Und die ist einer konstanten Entwicklung, und zwar nicht nur im Fußball, keineswegs förderlich. Bei Bayer Leverkusen haben wir nun folgenden Fall: ein Verein, der national und international schon auf sich aufmerksam gemacht hat (UEFA-Cup-Sieger 1988, Pokalsieger 1993, Champions-League-Finalist 2002), dem aber die ganz großen Lorbeeren (Meister oder gar Champion- League-Titel) bisher verwehrt geblieben sind.
Dennoch hat man es bei Bayer geschafft, auch aufgrund der finanziellen Mittel, in den letzten Jahren immer einen Kader zusammenzustellen, der eigentlich für mehr prädestiniert schien, als nur um die Plätze drei bis sechs mitzuspielen. Oder die Gruppenphase in der Königsklasse zu überstehen.
Bayer Leverkusen fehlt der berühmte "letzte Biss"
Aber immer, wenn man von den Bayer-Spielern den nächsten Schritt erwartete, gab es (meist) einen Rückschritt. Es scheint, als sei der ganze Klub eingelullt in einem diffusen Stolz darauf, in Deutschland seit Jahren zur fünf-bis sechsköpfigen Spitzengruppe zu gehören.
Und so habe ich vor dem heutigen, richtungsweisenden Spiel bei Atlético Madrid, nicht das Gefühl, dass Bayer der große Befreiungsschlag, sprich ein Auswärtssieg gelingt. Der wäre aber bitter nötig, um die internationale Präsenz auch über den Dezember hinaus zu verlängern. Und sei es in der Europa League.
Spiele wie in Dortmund (0:4), das vom Ergebnis her klarer war, als es das Spielgeschehen auf dem Rasen widerspiegelte, kommen bei Bayer Leverkusen einfach viel zu häufig vor. Oder Spiele wie in Turin. Zwar mit augenwischenden sechzig Prozent Ballbesitz und entsprechender optischer Überlegenheit - doch am Ende wurde das Toreschießen vergessen. Und der Gegner brauchte nur wenig, um viel mitzunehmen. Nach solchen Spielen wird dann immer gebetsmühlenartig runtergepredigt, dass man gezeigt habe, auf höchstem Niveau mithalten zu können. Aber nur dabeizusein, statt mittendrin: kann das auf Dauer wirklich der Anspruch von Bayer Leverkusen sein? Dies rhetorische Frage beantwortet sich mit einem Blick auf die vergangenen Jahre: ja, leider!
Man wünscht sich, dass diese Mannschaft mal richtig eklig auftritt. Meinetwegen auch bayer-unlike auftritt. Kämpft und spuckt und kratzt, wie wir früher gesagt haben. Spieler dafür haben sie durchaus in ihren Reihen. Stattdessen wird meist ein - durchaus schön anzusehender - technisch geprägter Fußball geboten - und wenn es dann am Ende nicht reicht, ist es halt so.
Kaum Hoffnung auf Erfolg bei Atlético
Nur mit dem absoluten Willen, als Sieger vom Platz zu gehen, wird Bayer heute Abend eine Chance haben. Ich befürchte jedoch den typischen Verlauf: Bayer macht anfangs das Spiel, Bayer hat Chancen - doch am Ende machen die Spanier die Tore und freuen sich über den Dreier.
Und Bayer redet danach den Gegner groß und zeigt sich zufrieden mit der ersten halben Stunde. Oder so ähnlich. Am Ende treffen wir uns dann in der Wohlfühloase und beobachten die Gegner, wie sie am Ende der Saison die Titel unter sich ausmachen.