Das Scouting-System des FC St.Pauli

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In den letzten Jahren hat das Scouting, d.h. das organisierte und strukturierte Suchen von Talenten, einen immer höheren Stellenwert im Vereinsfußball eingenommen. Klubs, die finanziell nicht mit der Spitze mithalten können, haben durch ein gutes Scouting die Möglichkeit, manchen Wettbewerbsnachteil zu kompensieren. So wie zum Beispiel der FC St. Pauli

St. Pauli: Früher Vogel fängt den Wurm

In ihrer neuen Serie beleuchtet die Bild die Hintergründe der Scouting-Welt, und stellt dabei exemplarisch Vereine und deren Scouting-Organisation vor. 
Beim FC St. Pauli ist diese im Vergleich zu den Top Sechs der Bundesliga eher bescheiden ausgelegt. Während ein Klub wie​ Borussia Mönchengladbach satte fünf Millionen Euro jährlich in die Sichtungsstrukturen einzahlt, sind es bei den Hamburgern nur knapp eine Million. 

Die grobe Einteilung sieht dabei wie folgt aus: Nord-Deutschland mit den angrenzenden skandinavischen Ländern, Ost-Deutschland, das Polen, Slowakei und Tschechien umfasst, Deutschland-Südost und Südwest mit der Schweiz und Österreich sowie West-Deutschland mit Belgien und Holland. Diese neue, internationalere Ausrichtung lässt sich schon an den diesjährigen Neuverpflichtungen ablesen: von den insgesamt acht Neuzugängen kamen sechs aus dem europäischen Umland, nur zwei aus Deutschland. 

St.Paulis Sportchef Andreas Bornemann benennt einen der wichtigsten Faktoren für ein erfolgreiches Scouting: Zeit. Im Sinne von, dass man schneller als die Konkurrenz ist. "Bei den Erfolgsaussichten auf dem Markt sieht es so aus: Je kleiner das Transferbudget ist, desto früher musst du versuchen, dran zu sein oder du musst die Nerven und die Geduld haben, lange zu warten." Aus dieser Aussage schimmert schon durch, warum manche Verhandlungen mit Begriffen wie "Poker" beschrieben werden. 

Wie zum Beispiel bei der Verpflichtung des schwedischen Rechtsverteidigers Sebastian Olsson aus Göteborg. Dessen Preis war zu Anfang mit stattlichen 500.000 Euro veranschlagt.
Doch dann begann das Zocken, wie Bornemann beschreibt: "Die Wechselperiode ist auch immer ein Poker- und Geduldspiel. Bei Ohlsson fiel der Preis erst auf 400.000 Euro, später noch weiter, da der Sommer die letzte Gelegenheit für Göteborg war, noch einen Transfererlös für Sebastian zu erzielen." Das Geduldspiel des Kiez-Klubs zahlte sich aus: am Ende zahlten die Braun-Weißen weniger als die Hälfte des eingangs aufgerufenen Preises und überwiesen 200.000 Euro an die Schweden. 

Gute Kommunikation als Basis

Das A und O im Scouting-Bereich ist die Kommunikation. "Die Scouts", so Bornemann,  "sind darauf angewiesen zu wissen, wonach sie suchen sollen. Es geht darum, dass sie möglichst klare Informationen über die Anforderungsprofile auf den einzelnen Positionen bekommen.“
Nach ihrer Sichtung im Stadion speichern die Talentspäher ihre Eindrücke in der Software "SAP Sports one". Dieser Prozess dauert etwa zwanzig Minuten, und beinhaltet neben einer klassischen Benotung des gesichteten Spielers ein paar skizzenhafte Randbemerkungen und Einschätzungen. Ganz wichtig dabei: jeder Scout hat nur Zugriff auf seine eigenen Daten. Nur Bornemann, als Leiter der Abteilung, kann auf alle Daten zugreifen. 

Ein Mitspracherecht bei der letztendlichen Verpflichtung haben die Scouts - logischerweise - ebenfalls nicht. Ihre Aufgabe ist es, Empfehlungen auszusprechen. Die endgültige Entscheidung trifft danach immer der Sportvorstand. Dabei beachtet dieser auch die im Fußball ungeschriebene Regel, dass der Trainer die Überzeugung bezüglich eines gesichteten Talentes mittragen muss. Wenn dem nicht so sei, so Bornemann, geht "die Chance, dass deine Verpflichtung dann funktioniert gegen Null." 

Das Scouting-Geschäft verläuft dabei in Schüben. Zwischen Mai und August (also die Zeit zwischen zwei Spielzeiten) bekomme er durchschnittlich bis zu zehn Angebote täglich. Dazu kommen Whatsapp-Benachrichtigungen, SMS oder direkte Anrufe der Berater. Zusätzlich zum eigentlichen Scouting-Organigramm sind die Jugendtrainer der einzelnen Nachwuchsmannschaften des FC St. Pauli eigenverantwortlich angehalten, neue Talente zu entdecken. Dafür wurde ein allwöchentliches Gruppen-Treffen der Coaches der U17, U19 und U23 ins Leben gerufen, bei denen auch der Co-Trainer der Profis, André Trulsen, beteiligt ist und dabei sozusagen das Bindeglied zwischen den Profis und der U23 darstellt. 

Den Traum, die Talente gänzlich aus den eigenen Reihen heraus zu rekrutieren, tut Bornemann als genau solchen ab - als Traum. "Es wäre eine Idealvorstellung, alle Spieler aus den eigenen Reihen zu rekrutieren. Das ist aber sehr unrealistisch und daher muss man vorbereitet sein", sagt Bornemann, und verweist damit schon auf das Phänomen des Schattenkaders. Der Schattenkader ist quasi ein ideelles Pendant zum realen Kader. "Man plant immer einen Kader nebenher", so Bornemann, "wo für alle Positionen Spieler berücksichtigt sind, die die aktuellen Spieler im Bedarfsfall ersetzen könnten."