90min-Redakteur Guido Müller hat sich mit Daniel Jovanov, Journalist und Co-Autor des Buches "Der Abstieg - wie Funktionäre einen Verein ruinieren", im Hamburger Stadtteil Ottensen getroffen, um über den Fall Bakery Jatta zu reden. Jovanov erklärt, warum der HSV teilweise ein Märchen erzählt hat - und warum die Solidarität der HSV-Fans mit Jatta so groß ist.
90min: Daniel, der mediale Wirbelsturm, der in den letzten Wochen eingesetzt hat, scheint den HSV ja niemals zu verlassen. Meinst Du, dass der Verein selbst für die negativen Schlagzeilen sorgt oder ist es einfach die Medienlandschaft in Hamburg?
Jovanov: Ich konnte das Phänomen in den letzten Jahren sehr deutlich beobachten. Es gibt diese These, die von sehr vielen Fans verbreitet und immer wieder gebraucht wird. In den Diskussionen, in denen gesagt wird, das mediale Umfeld in Hamburg würde die Arbeit ja so schwierig machen. Meine persönlichen Recherchen zu dem Thema sind anders. Und nach etlichen Gesprächen mit zahlreichen Protagonisten komme ich zu einem anderen Schluss.
Ich kann ein Beispiel geben: Ich habe kürzlich ein Interview mit Rafael van der Vaart geführt. Der hat gesagt: '
Was noch hinzukommt: Ich kann einen gewissen Bruch erkennen in den letzten Jahren, genauer gesagt nach der Ausgliederung. Dahingehend, dass die Berichterstattung eher dazu tendiert, dem HSV beiseite zu stehen, als ihm zu kritisch zu begegnen.
Aber um eines klar zu sagen: Erst passiert etwas, dann wird darüber berichtet.
Die Entscheidungen der Verantwortlichen sind dann schon getroffen.
Wobei ich eine Beeinflussung durch Berichterstattung nicht ausschließen will.
Man darf nicht Ursache mit Wirkung verwechseln. In der Regel sind die Resultate einer getroffenen Entscheidung die Ursache für die nachfolgende Berichterstattung. Im Fall Jatta ist es nun tatsächlich umgekehrt: Die Berichte der Sport Bild sind die Ursache für Entscheidungen, die der HSV als Folge der Prozesse, die die Berichte ausgelöst haben, treffen muss.
Was ich losgelöst vom aktuellen Fall allgemein in der Interaktion zwischen Fans und Medien feststelle, ist, dass es schwieriger wird, Pressearbeit durch Vereine, Verbände oder anderen Institutionen von Journalismus zu unterscheiden. Manchmal scheint es mir, als würde die Trennlinie immer unschärfer werden.
Nehmen wir das konkrete Beispiel Bakery Jatta. Es ist ja jetzt Fakt, dass der HSV und Bakery Jatta der Öffentlichkeit eine falsche Geschichte erzählt haben: Bakery Jatta habe vor seiner Unterschrift beim HSV nie in einem Fußballverein gespielt. Das entsprach nicht der Wahrheit, wie sich nun herausgestellt hat. Aber alle Verantwortlichen, die da waren, haben dieses Märchen weitererzählen müssen.
Ich finde, diese Geschichte hätte nichts von ihrer Besonderheit eingebüßt, wäre man von Anfang an bei der ganzen Wahrheit geblieben.
Worum geht es beim Fall Jatta eigentlich?
90min: Deinen Worten ist zu entnehmen, dass das Problem Jatta ja wohl noch viel größer wird.
Jovanov:

90min-Redakteur Guido Müller (li.) mit Daniel Jovanov
Mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages beim HSV hat er gleichzeitig die Aufenthaltsgenehmigung bekommen, und das mit Eintritt des 18. Lebensjahres. Jetzt, vier Jahre danach, kommt die Sport Bild mit ihrem Verdacht, dass Bakery Jatta gar nicht Bakery Jatta ist. Er habe eine andere Identität und ein anderes Alter. Was noch einmal die Frage aufgeworfen hat, ob die damaligen Zweifel des HSV nicht doch berechtigt gewesen sein könnten. Und was die Konsequenzen daraus sind, falls die Berichte stimmen.
Aktuell ist es ja so, dass die Vereine aufgrund der ungeklärten Situation Protest einlegen. Auch dieser Punkt wird viel zu emotional kommentiert. Es wird ihnen vorgeworfen, sie seien schlechte Verlierer. (Anmerkung: Bochum hat auch Protest eingelegt, und der KSC hat angekündigt, unabhängig vom Ausgang des Spieles gegen den HSV, Protest einzulegen.) Doch das ist zu kurz gedacht. Die meisten Klubs in der Bundesliga sind ja gar keine gemeinnützigen Vereine, sondern Kapitalgesellschaften.
Das muss man auf der professionellen Ebene sehen: Wenn ein Klub nicht alle Mittel ausschöpfen würde, um einen Fehler eines konkurrierenden Klubs auszunutzen, hat er im Endeffekt gegenüber seinen Gesellschaftern oder Aktionären ein Problem, wenn sich nämlich dieses Nicht-Handeln negativ auf ihn auswirken würde.
Insofern müssen die Klubs, und das ist schon sehr nachvollziehbar, dieses Recht ausschöpfen oder zumindest Einspruch einlegen und abwarten, was passiert. Jetzt wird aber in dieser Sache fälschlicherweise darauf gewartet, dass die DFL oder der DFB ein
90min: Trotz der schwerwiegenden Konsequenzen, die sich für den HSV ergeben könnten - wie wichtig ist deiner Meinung nach, dass der HSV für endgültige Klarheit sorgt?

Daniel Jovanov kennt sich mit dem HSV bestens aus
Zusammengefasst:
Und deshalb will ich nochmal zum Thema Solidarität kommen:
90min: Glaubst du, dass der HSV in dieser Angelegenheit auf den worst case eingestellt ist? Stichwort Punktabzug.
Jovanov:
Jonas Boldt geht anders vor. Jonas Boldt hat einen Angriff gegen die Medien, gegen die Institutionen DFL und DFB gemacht und dabei etwas rumgepoltert. Und das noch mal bekräftigt. Er fordert vom DFB eine Entscheidung. Ich frage mich: Welche Entscheidung möchte er denn eigentlich haben? Denn: Die Instanzen DFL und DFB können sich einzig und allein auf die im Moment gültigen Ausweisdokumente beziehen. Es gibt jetzt in den DFB-Regularien einen Hinweis. Der wurde im Zuge der Flüchtlingskrise herausgeben. Nämlich: Wie Vereine denn umzugehen haben mit Angaben aus Pässen und Dokumenten. Und da hat der DFB eindeutig geregelt und festgelegt, dass die Vereine nicht dazu verpflichtet sind, die Angaben zu überprüfen. Das ist Aufgabe der Behörden, nicht der Vereine. Damit nimmt der DFB also die Vereine aus der Verantwortung, eine Prüfung auf Richtigkeit der Angaben zu machen.
Warum geht es eigentlich ständig nur um Sportbild? Die wichtigeren Details hat der Spiegel aufgedeckt. Nämlich Beweise (mithilfe von Mails), dass der HSV selbst Zweifel am Alter/Identiät gehabt hat. https://t.co/MQNSfzwX8U
— Daniel Jovanov (@JovanovDaniel) August 19, 2019
Am Ende wird sich die Frage stellen: Wie entscheiden DFB und DFL, sollte das Bezirksamt sagen, die Angaben in Jattas Pass sind falsch? Ich sehe durchaus die Gefahr, dass die Spiele dann umgewertet werden können.
Sollte der HSV vorerst auf Jatta verzichten?
90min: Wäre es in dem Zusammenhang nicht smarter vom HSV...
Jovanov:
90min: Daniel, ich danke dir für deine Einschätzungen.