Gyula Lorant: Der Mann, der die Raumdeckung nach Deutschland brachte

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Da der Beruf "Trainer" in den letzten Monaten in seinem Ruf (vor allem in der Bundesrepublik) stark gelitten hat, haben wir von 90min uns vorgenommen, hier gegenzusteuern. 

In unserer lockeren Reihe stellen wir die legendärsten Trainer der Bundesliga vor - mit dabei: Gyula Lorant!


Dabei hat Lorant in Deutschlands höchster Spielklasse nicht einen einzigen Titeln geholt (bei immerhin zehn Klubs, in denen er agierte). Trotzdem hat er den modernen Fußball nachhaltig mitgeprägt - bis heute. 

Der Fußballspieler Gyula Lorant war Teil der ungarischen Wunderelf, deren Siegeszug durch die Fußballwelt erst im Sommer 1954 im Berner Wankdorf-Stadion von der deutschen Mannschaft gestoppt wurde. 

Auszug - ausgerechnet nach Deutschland

Nach ersten Trainer-Stationen bei Honved Budapest und Debreceni, zog es Gyula Lorant 1964 nach Deutschland - das Land, das ihm seinen größten sportlichen Albtraum bereitet hatte. Nach den Stationen Rheydt, Kaiserslautern, Duisburg, Berlin, Köln, Offenbach, Freiburg und einem einjährigen Intermezzo auf der Bank von PAOK Saloniki, heuerte Lorant 1976 bei der Frankfurter Eintracht an - und brachte eine taktische Neuerung in die ​Bundesliga mit: die Raumdeckung. 

Bis dahin hatten Verteidiger ihre zu deckenden gegnerischen Stürmer selbst bis zur Toilette begleitet, wenn es denn nötig war. Wadenbeißer, Terrier, Kettenhunde - die synonymen Begriffe für Innenverteidiger verweisen schon auf die unmittelbare körperliche Nähe zum zu kontrollierenden Objekt, mit der die Vogts' und Höttges und Schwarzenbecks der Republik ihren defensiven Aufgaben nachgingen. Das gesamte Deckungsverhalten war bis dato auf das direkte Ausschalten des Gegenspielers fokussiert. Manndeckung halt - bis Lorant kam. 

Lorant führt Raumdeckung in Deutschland ein

Mit seinem neuen defensiven Konzept, den unmittelbaren Raum um einen herum und nicht den Gegenspieler selbst zu decken, revolutionierte Lorant förmlich das Abwehrverhalten im deutschen Profi-Fußball. Mit der Eintracht blieb er mit diesem System einmal 22 Spiele am Stück ungeschlagen. Das ließ auch die Macher in München aufhorchen. Mit Dettmar Cramer (einer anderen Legende, die wir noch vorstellen werden) waren die Bayern zu diesem Zeitpunkt nicht besonders glücklich. Es kam zu einem Trainer-Tausch und Lorant konnte von nun an auch in München seine Spielphilosophie in die Tat umsetzen. 

Interne Spannungen

Doch bald bröckelte die Fassade, reihten sich Fehleinschätzungen und offensichtliche Unkenntnisse aneinander. Vor einem Spiel gegen den ​SV Werder stellte Lorant den Bremer Stürmer Uwe Reinders als Linksfuß dar. Erst nach erbitterten Diskussionen mit Rummenigge und Horsmann akzeptierte Lorant den Kompromiss: "Gut, dann ist er halt beidfüßig." 

Bei einem Trainingslager im fränkischen Mittenwald (knapp über tausend Meter hoch gelegen) pries er die leistungsstärkende Wirkung der Höhenluft - obwohl es sportmedizinisch damals schon als erwiesen galt, dass gute tausend Meter Höhe keinerlei Wirkungen zeigen. Auch ernährungswissenschaftlich war Lorant sicherlich kein Mann auf der Höhe der Zeit. Opulente Mahle mit bis zu 4500 Kilokalorien (oder darüber!) waren für ihn ein Muss - und wenn nach so einer Völlerei ein Trainingsspielchen gegen irgendeinen Sechstligisten gewonnen wurde, schrieb er das den Bergen von Leberknödeln, Schweinsbraten und Kuchen zu. 

Im Dauerclinch lag Lorant mit Vereinsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt. Dem drohte nämlich einmal die unschöne Aufgabe, den schon blau angelaufenen Zeh von Mittelfeld-Regisseur Branko Oblak amputieren zu müssen. Oblak hat sich den Zeh gebrochen, doch für Lorant war das kein Grund, nicht am Training teilzunehmen. Unter Schmerzen musste Oblak das Pensum absolvieren - bis der Zeh abzusterben drohte. Müller-Wohlfahrt tobte, Lorant hielt nur lapidar dagegen: "Spieler viel zu empfindlich. Habe ich vor 25 Jahren alles ausgehalten." 

Tod auf der Trainerbank

In den folgenden Monaten wurden die Spannungen zwischen Trainer und Mannschaft immer offensichtlicher. Im Dezember 1979 trennten sich Verein und Trainer endgültig. Keine eineinhalb Jahre später starb Gyula Lorant  - und zwar so, wie es sich Fußballromantiker wohl erträumen würden: am 31. Mai 1981 wohnte Lorant dem Spiel seines PAOK Saloniki und Olympiakos Piräus bei, als ihn ein Herzinfarkt niederstreckte. Noch am Abend desselben Tages schlossen sich seine Augen für immer. Der Erfinder der Raumdeckung verschwand im großen Raum der Zeit.